SVA-Generalversammlung: Meinungswandel zu Gunsten der Kernenergie

Die diesjährige Generalversammlung der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie (SVA) am 21. Oktober 2003 im Kursaal Bern - mit rund 115 Teilnehmenden aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Pressestand im Zeichen der Zukunft der Kernenergie.

20. Okt. 2003

Nachdem die beiden Anti-Atominitiativen am 18. Mai 2003 von Volk und Ständen klar abgelehnt wurden, ist nun der weitere sichere und wirtschaftliche Betrieb der Kernkraftwerke demokratisch breit abgestützt. Nach den Worten von SVA-Präsident Dr. Bruno Pellaud ist unser Land nach diesen Entscheiden auf dem Weg in eine bewegte Zukunft, "eine Zukunft, in der von der Kernenergie in der Schweiz ein bedeutender Beitrag zur Versorgungssicherheit und zum Umweltschutz erwartet wird."
Die Schweiz stehe dabei mit ihrer demokratisch klar abgestützten Beurteilung, die Option Kernenergie sei weiter zu entwickeln und zu nutzen, keineswegs isoliert da. Nicht nur häuften sich seit einigen Monaten die Zeichen dafür, dass auch ausserhalb Asiens und des früheren Ostblocks der Bau neuer Kernkraftwerke ein ernst zu nehmendes Thema werde. Ebenso wesentlich seien die Arbeiten zur Ertüchtigung der bestehenden Kernkraftwerke für den sicheren Langzeitbetrieb, typischerweise während 60 statt 40 Jahren, die in zahlreichen Ländern voranschreiten, führte Pellaud aus.
Pellaud unterstrich die Konkretisierung der künftigen Rahmenbedingungen für die Nutzung der Kernenergie sei ein vitaler Vorgang. Die SVA verwahre sich mit aller Vehemenz gegen die neuesten Vorstösse aus dem Kreis der Abstimmungsverlierer, wonach das neue Kernenergiegesetz in den ihnen passenden Teilen vorzeitig in Kraft zu setzen sei: "Die Autoren dieser Vorstösse verlangen damit für die Übergangszeit bis zur Inkraftsetzung des neuen Kernenergiegesetzes nichts weniger als die Ausschaltung der rechtsstaatlichen Abläufe", führte der SVA-Präsident aus. In der bestehenden Rechtsordnung haben wir gemäss den Ausführungen Pellauds ein Atomgesetz - ein sehr strenges Gesetz - und den gestrengen Bundesrat als Bewilligungsbehörde sowie die HSK als verantwortliche Sicherheitsbehörde. Den Zeitpunkt der Inkraftsetzung der neuen Gesetzgebung mit den neuen Bewilligungsverfahren habe der Bundesrat festzulegen, voraussichtlich sei damit nicht vor Anfang 2005 zu rechnen. "Der Ruf, bis dahin die bestehende Rechtsordnung teilweise ausser Kraft zu setzen, ist eine rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit, die hoffentlich keine Chance haben wird", betonte Pellaud.
Im statuarischen Teil der Versammlung wurde das Protokoll der letztjährigen GV, der Jahresbericht sowie die Jahresrechnung 2002 einstimmig genehmigt. Den Vereinsorganen wurde Décharge erteilt. Der Präsident verabschiedete mit dem Dank für die geleisteten Dienste die zurücktretenden Vorstandsmitglieder Frau Micheline Guerry sowie die Herren Hans Achermann, Hans Rudolf Gubser, Dr. Hans-Jürgen Kirchhof. Die Versammlung wählte Frau Agathe Tobola Dreyfuss (Schweizerischer Gewerbeverband, Bern), Herrn Mario Schönenberger (Kernkraftwerk Leibstadt) und Herrn Dr. Manfred Thumann (Axpo, Baden) einstimmig neu in den Vorstand.
Nach dem geschäftlichen Teil leitete der SVA-Präsident zum Höhepunkt der diesjährigen GV über, dem Referat von Dr. Rolf Linkohr "Die Kernenergie hat eine Zukunft". Linkohr ist sozialdemokratisches Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Europäischen Energiestiftung. Seit seiner Wahl ins Europäische Parlament 1979 engagiert sich Linkohr als Physiker und ausgewiesener Kenner der Kernenergie in der Energie- und Klimapolitik, in der Forschungspolitik, der Europapolitik und in weiteren Bereichen für zukunftsgerichtete Konzepte
Linkohr rief gleich zu Beginn seines Referats die Nachhaltigkeit der Kernenergie in Erinnerung, welche von den Faktoren Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und einer sozialen Komponente bestimmt wird. "Wenn aber die Kernenergie nachhaltig ist, dann gibt es keinen rationalen Grund mehr, ihr die weitere Nutzung zu verweigern. Zumindest sollte man es meinen. Doch gibt es noch einen Einwand, und der ist nicht gering zu schätzen. Er hat mit der öffentlichen Wahrnehmung der Technik zu tun. 'Die Festlegung eines zumutbaren Risikograds stellt eine mit hoher politischer Verantwortung verbundene Entscheidung dar', so die Europäische Kommission in der Auslegung des Vorsorgeprinzips. Nicht nur das Risiko, nicht nur die wissenschaftliche Unsicherheit, auch die besorgte Öffentlichkeit müssen berücksichtigt werden. Und das kann unter Umständen dazu führen, nicht tätig zu werden. Mit anderen Worten, eine Technik muss auch von der Mehrheit der Menschen akzeptiert werden. Und so hat das Vorsorgeprinzip auch noch eine subjektive Note, eine soziokulturelle Komponente, die sich der Wissenschaft entzieht."
Linkohr sieht aber einen Meinungswandel auf uns zukommen, weg vom dogmatischen "Nein" hin zu einem pragmatischen "Ja" zur Kernenergie. Die Vorboten eines solchen Meinungswandels seien bereits zu sehen: In Finnland hat das Parlament dem Bau eines fünften Kernkraftwerks zugestimmt, nachdem jahrelang über diese Frage in der Öffentlichkeit gestritten wurde. In der Schweiz wurden in einer Volksabstimmung das Moratorium ebenso abgelehnt wie der Ausstieg. In Frankreich hat in diesem Jahr eine nationale Energiedebatte stattgefunden, die den bisherigen Kurs der Regierung kaum ändern dürfte. Frankreich wird weiterhin an der Kernenergie festhalten und vermutlich bald einen Grundsatzbeschluss zum Bau eines neuen europäischen Druckwasserreaktors (European Pressurized Water Reactor, EPR) fassen. In Belgien dürfte nach der Wahlniederlage der Grünen der Ausstiegsbeschluss auch bald überprüft werden. In den USA hat die derzeitige Regierung einen Wechsel in der Atompolitik verkündet und es sieht so aus, als stünde die Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage hinter ihr. Auch vermutet der Referent, dass Brasilien sich in Kürze zum Bau des dritten Atomreaktors in Angra dos Reis entschliessen wird. Denn wer ei ne Anlage zur Urananreicherung bauen wolle, steige nicht aus, sondern ein.
Daneben sprechen nach den Ausführungen Linkohrs aber auch Überlegungen zur Versorgungssicherheit für die Kernenergie, indem sie die Abhängigkeit von Energieimporten verringert. Das beste Beispiel ist nach seiner Meinung Frankreich, das abschreckende Beispiel Italien, das es ablehnt, Kernkraftwerke zu bauen, sich aber nicht scheut, bei seinen Nachbarn Strom aus Kernkraftwerken zu erwerben: "Inzwischen will ein grosses italienisches Energieversorgungsunternehmen sogar drei Kernkraftwerke in Frankreich erwerben", führte er aus und fasste zusammen: "Die Kernenergie hat eine Zukunft, weil sie gebraucht wird. Der Ausstieg ist ein höheres Risiko als der Einstieg. Oder anders ausgedrückt, ihren Nutzen wird man umso schneller begreifen, wie man uns abnötigt, auf sie zu verzichten."
An der vorgängig an die GV durchgeführten Medienkonferenz präsentierte Dr. Hans Fuchs, Vizepräsident der SVA, einige Aktualitäten aus den schweizerischen Kernkraftwerken. Nach seinen Ausführungen haben die spektakulären Netzzusammenbrüche der letzten Zeit in den USA und Europa klar demonstriert, dass moderne Volkswirtschaften im Mark getroffen werden, wenn die Stromversorgung versagt, dass der Strom nur dann aus der Steckdose kommt, wenn das dahinter stehende komplexe System von Kraftwerken, Transport- und Verteilanlagen auf einem bedarfsgerechten Stand gehalten wird und dass eine bedarfsgerechte, zuverlässige Stromversorgung nur mit zukunftsgerichteten, stetigen Rahmenbedingungen zu haben ist.
Die schweizerischen Kernkraftwerksbetreiber, die 40% zu unserer Stromerzeugung beitragen, sehen sich gemäss Fuchs in ihrer Politik bestätigt, mit vorausschauenden Massnahmen die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Anlagen auf einem hohen Niveau zu halten und wo möglich noch weiter zu steigern. Die Netzzusammenbrüche hätten auch die Wichtigkeit des Faktors Mensch für eine sichere Stromversorgung gezeigt - eine Tatsache, die die KKW-Betreiber seit langem verinnerlicht haben, weshalb die Aus- und Weiterbildung der Fachleute eine wichtige Rolle spielt.
Seit rund zehn Jahren engagieren sich die Schweizer Kernkraftwerke in Zusammenarbeit mit dem Paul Scherrer Institut bei internationalen Forschungs- und Entwicklungs-Projekten für fortgeschrittene Druck- und Siedewasserreaktoren. Dabei haben beispielsweise Experimente an der PSI-Anlage Panda wertvolle Beiträge für die Entwicklung passiver Sicherheitssysteme geliefert, die u.a. bei verschiedenen fortgeschrittenen Reaktoren vorgesehen sind. Zudem sind die Schweizer Kernkraftwerke an der Entwicklung gemeinsamer Anforderungen an neue KKW beteiligt und haben damit auch Einblick in den in Finnland und Frankreich für eine baldige Realisierung favorisierten EPR (European Pressurized Water Reactor). All diese Anstrengungen dienten nicht nur dazu, technisch à jour zu bleiben und den Nachwuchs zu fördern. Sie sollen es auch ermöglichen, zukunftsgerichtet über den dereinstigen Ersatz der bestehenden KKW nachzudenken - auch durch neue, fortgeschrittene Kernkraftwerke. (Die vollständigen Texte der Referate sind beigefügt).

Quelle

H.R./D.S.

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