Über Risiken und Nebenwirkungen von Gaskraftwerken

Jeder Energieträger hat ein spezifisches Chancen- und Risikoprofil. Werfen wir einen Blick auf das Gas, das heute reichlicher strömt als früher.

18. Juni 2012

Die Risiken der modernen Gesellschaft werden in der Energieproduktion besonders deutlich. Selbstverständlich haben gerade auch die Stakeholder der Kernenergiebranche ein eminentes Interesse an einer fairen Risikoabschätzung. Wir hatten an dieser Stelle verschiedentlich auf Risiken diverser Energieträger hingewiesen. Viele Risiken werden von den Medien und damit auch von der Bevölkerung kaum beachtet. So etwa fordert der Kohleabbau in den Bergwerken Jahr für Jahr Tausende von Todesopfern:

Im April 2010 explodierte die Bohrinsel «Deepwater Horizon». Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko erlangte zwar während des dramatischen Verlaufs eine hohe Aufmerksamkeit. Heute ist die schlimmste Ölpest in der Geschichte der USA kein Thema mehr. Rund 800 Mio. Liter Öl strömten damals aus dem Bohrloch und verpesteten Meer und Küsten.

Damit nicht genug: Die Versuche, den Treibhausgasausstoss zu reduzieren, bleiben offensichtlich wirkungslos. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) erreichten im vergangenen Jahr die Emissionen ein neues Rekordhoch. Auf der von der Weltöffentlichkeit kaum beachteten Bonner Klimakonferenz vom Mai 2012 gab es kaum Fortschritte.

Grossereignisse passieren sehr wohl das Tor der Gatekeeper und der verantwortlichen Medienakteure. Das Ereignis muss aber in Raum und Zeit gut lokalisierbar sein und bezüglich Schwere einen gewissen Schwellenwert aufweisen. Das enorme Gasleck in der Nordsee auf der Bohrinsel des Energiekonzerns Total war in Konkurrenz mit anderen Themen wie die wieder aufflackernde Euro-Krise. Zudem gab es im Unterschied zu Deepwater-Horizon – der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko in der ersten Jahreshälfte 2010 – keine dramatischen Bilder. Zu Beginn der Katastrophe am 25. März herrschte zwar Explosionsgefahr. Die 238 Arbeiter auf der Plattform konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Rund 50 Tage benötigte die Total, um das Leck abzudichten. Der Konzern pumpte Schlamm in das Bohrloch. Das Gas kam aus einem Vorkommen in 4000 m Tiefe, das eigentlich gar nicht für die Förderung vorgesehen war. Das eigentliche Förderreservoir liegt 5500 m unter dem Meeresgrund. Gemäss der britischen Regierung hatte der Teppich aus Gaskondensat eine Ausdehnung von 22 km Länge und 4,5 km Breite. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte, in sensiblen Regionen der Welt die Öl- und Gasförderung generell zu verbieten.

Zunächst strömten nach Angaben der Betreiberin täglich 200'000 m3 aus dem Leck ins Freie, später verringerte sich die Menge auf etwa ein Drittel. Das ergibt ein Gesamtvolumen von gegen 5 Mio. m3. Zur Illustration: Sie verpacken dieses Gas in Kubikmeter-Würfel und reihen diese aneinander. Das würde eine Strecke von Bern nach Moskau retour ergeben. Nach Schätzungen des Total-Managements soll der Unfall EUR 228–304 Mio. (CHF 274–365 Mio.) kosten. Für die Zusatzbelastung des Klimas wird die Total nicht haften müssen, obwohl das ausgetretene Methangas 20 Mal so wirksam ist wie das CO2.

Unterschätzt werden vor allem die Risiken der Gaswirtschaft in der Distribution und im Verbrauch beim Endkonsument. Gasunglücke geschehen jede Woche: Noch frisch in Erinnerung ist das völlig zerstörte Mehrfamilienhaus in Pratteln, bei dem glücklicherweise niemand getötet wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um einen Gasunfall. Jede Woche sterben Dutzende Menschen wegen defekten Gasleitungen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Lieferkette des Urans in Schweizer Medien, allen voran vom Fernsehen, näher beleuchtet. Allerdings: Beim Gas ergibt sich kein besseres Bild. So zeigt die Karte von «Finanz und Wirtschaft», dass sich das Verhältnis von Problemländern mit sehr hoher Korruption zu Ländern mit tiefer Korruption in der Gasförderung eher schlechter ist (Ausgabe vom 19. Mai 2012). «Gaskraft würde zur Fehlinvestition», ist der grüne Wissenschafter Ernst Ulrich von Weizsäcker überzeugt (NZZ am Sonntag; 20. Mai 2012). Sein Rezept heisst Effizienzgewinn: Wohlstand verdoppeln und den Ressourcenverbrauch halbieren. Eine Idee, die bis heute Illusion geblieben ist.

Was die Stromerzeugung aus Gas im Besonderen betrifft: Die Kosten für die Erstellung eines Gaskraftwerks sind erheblich tiefer verglichen mit einem Kernkraftwerk. Doch die Kosten für den Betrieb sind äusserst schwierig abzuschätzen. Dies geht auch aus den jüngsten Äusserungen der Betreiberin eines neuen Kraftwerks im neuenburgischen Cornaux hervor. Groupe-E-Sprecher Christophe Kaempf erklärte auf 20 Minuten Online: «Im Moment würde sich ein Bau nicht lohnen. Dafür sind die Strompreise zu tief und die Gaspreise zu hoch.» Gerade wegen der hohen CO2-Kompensationszahlungen sei ein Gaskraftwerk in der Schweiz kaum lohnend zu betreiben. Es sei denn, die Strompreise würden explodieren.

Quelle

Hans Peter Arnold

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