Unrealistisch, teuer und widersprüchlich

Rede von Bundesrat Joseph Deiss anlässlich der Delegiertenversammlung der CVP Schweiz vom 29. März 2003 in Luzern

28. März 2003

Ich will ihren Zeitplan nicht unnötig verlängern. Gestatten Sie mir als Wirtschaftsminister aber doch einige Anmerkungen zur "Moratoriumsinitiative".
Gegen ein Time-out, um eine neue Taktik zu diskutieren, um Kräfte zu sammeln, um mit Elan das Spiel wieder aufzunehmen - dagegen habe ich nichts einzuwenden. Das, was man Ihnen und allen Bürgerinnen und Bürgern am 18. Mai an der Urne zur Abstimmung zumutet, hat aber nichts mit Time-out zu tun. Im Gegenteil: Mit diesem Volksbegehren werden wir alle zum Stillstand genötigt.
Zur geistigen und physischen Lethargie, die ja seit mehr als einem Jahrzehnt andauert. Diese wissenschaftliche und energiepolitische Einöde erleben wir seit dem Ja von Volk und Ständen vom 23. September 1990 zur ersten Atom-Moratoriums-Initiative. Nichts hat sich belebt... nichts hat sich bewegt. Befürworter und Gegner der Kernenergie stehen einander in festgefahrenen Positionen gegenüber.
Wir haben den Elektrizitätsmarkt nicht liberalisiert; wir haben die Endlager-Problematik nicht gelöst. Kurz: Wir stehen dort, wo wir schon an diesem 23. September 1990 gestanden sind.
Liebe Freunde, Wagen Sie einen Blick zurück und Sie werden es selber erkennen: Das hier propagierte Moratorium ist unrealistisch, teuer und widersprüchlich. Mit dieser neuen, zweiten Moratoriums-Initiative wird kein Time-out anvisiert. In Tat und Wahrheit ist dies ein verkappter Ausstieg aus der Kernenergie. Das aber ist keine wohl durchdachte, überlegte und innovative Energiepolitik. Das ist realitätsfremder Oeko-Fundamentalismus.
Das ist eine Geisteshaltung, die jeglicher wirtschaftlichen Entwicklung enge Schranken setzt. Damit kommen wir gerade in einer Zeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten überhaupt nicht weiter. Sie haben es wohl verstanden: ich lehne jede Form von Moratorien ab.
Betrachten wir doch einmal die Fakten: Ausser der Wasserkraft haben wir keine eigenen Energieressourcen. 20 Prozent unserer Energieversorgung ist Elektrizität und 40 Prozent davon entnehmen wir den fünf Kernkraftwerken. Aus alternativen Energiequellen beziehen wir nur gerade 5 Prozent des Stroms.
Wer aber glaubt, diese 5 Alternativ-Energie-Prozente Messen sich plötzlich auf 40 Prozent ausweiten, der irrt sich gewaltig. Tatsache ist: Mit dem Moratorium manövrieren wir uns langfristig in eine noch ausgeprägtere Auslandabhängigkeit der Schweiz im Energiesektor.
Als Wirtschaftsminister bereiten mir die wirtschaftlichen Konsequenzen eines solchen Moratoriums besonders Sorgen.
Wir haben schon heute europaweit fast die höchsten Strompreise. Mit dem Moratorium oder gar dem Ausstieg würden die Kosten weiter ansteigen. Die kumulierten Kosten der Moratoriums-Initiative haben wir auf 25 Milliarden Franken berechnet, diejenigen der Ausstiegs-Initiative auf 42 Milliarden Franken (kumuliert bis 2044).
Wer aber soll das bezahlen?

  • Die Besitzer der Kernkraftwerke, weil eine kürzere Betriebsdauer indirekt zu einer Kapitalvernichtung führt;
  • Die Strombranche, die Stromexporte verliert, weil unsere Stromproduktion aus Kernkraftwerken nicht mehr konkurrenzfähig ist;
  • Die schweizerische Industrie allgemein, die durch höhere Gestehungskosten Wettbewerbsfähigkeit verliert;
  • Die Konsumenten, die teure Energiepreise wegen der Abwälzung der höheren CO2-Taxe zahlen.

Die Gegner des Elektrizitätsmarktgesetzes (EMG)-in Teilen identisch mit jenen Kreisen, die auch hinter den Atom-Initiativen stehen - haben ihren Abstimmungskampf unter anderem mit dem Verweis auf die Versorgungssicherheit geführt.
Mit diesen beiden Initiativen begeben wir uns jedoch in ein neues Strom-Abenteuer mit unabsehbaren Folgen. Die Befürworter des Moratoriums weisen auf den technologischen Vorteil des Strukturwandels hin, der durch den Ausstieg zustande käme. Das tönt gut, bleibt aber ohne Gesetzesgrundlage bloss traumtänzerische Illusion. Im Gegenteil: Moratorium heisst Stillstand und die Menschheit hat es noch nie geschafft, zwangsweise eine teurere Technologie einzuführen.
Gerade die CO2-Reduktion, aus Umweltschutzkreisen gewünscht, durch das Kyoto-Protokoll von der Schweiz mitgetragen, und mit einem separaten CO2-Gesetz eingeleitet, kann durch das Moratorium nicht erzielt werden.
Im Gegenteil: Die meisten Alternativen würden zu einer Erhöhung des CO2-Ausstossesführen. Wir hingegen wollen mit unserem CO2-Gesetz den Ausstoss bis 2010 um 10 Prozent gegenüber 1990 verringern. Das Moratorium würde einen Mehrausstoss an CO2 von 5 Prozent verursachen.
Und wenn wir den Strom - egal ob aus thermischen oder aus nuklearen Energieanlagen - einfach aus dem Ausland importieren, dann handeln wir wie Pontius Pilatus: Wir waschen unsere Hände in Unschuld! In umweltpolitischer, in technologischer und in politischer Unschuld. Dann exportieren wir das Risiko von Atomunfällen ins Ausland. Dann exportieren wir die umstrittene und ungelöste Abfallfrage ins Ausland. Dann nehmen wir unsere Verantwortung als Bürger und CVP-Mitglieder einfach nicht mehr wahr!
Der Ausstieg aus der Kernenergie mag langfristig ein wünschenswertes Ziel sein. Auch ich wünsche mir gerade als Wirtschaftsminister DIE saubere Energie. Was ich aber nicht unterstützen kann, ist ein mit einer wirtschaftsfremden Zwangsjacke erzwungener Ausstieg aus der Kernenergie. Die Schweiz braucht kein Moratorium. Noch weniger braucht sie einen totalen Ausstieg.
Stimmen Sie deshalb Nein!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Quelle

Bundesrat Joseph Deiss

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