Volkswirtschaftliche Auswirkungen eines Ausstiegs der Schweiz aus der Kernenergie
Was kostet es die Schweizer Volkswirtschaft, die Kernkraftwerke – gemäss den im letzten Herbst eingereichten zwei neuen Antiatom-Initiativen – vorzeitig abzustellen? Die Resultate einer eingehenden wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung dieser Frage wurden am 22. Februar 2000 an einer Medienkonferenz der schweizerischen Kernkraftwerke in Bern präsentiert:
Begrüssung und Einleitung
Dr. Hans Fuchs, Präsident des Unterausschusses Kernenergie der Überlandwerke, Leiter Thermische Anlagen der Aare-Tessin AG für Elektrizität und Vizepräsident der SVA
Meine Damen und Herren
Ich begrüsse Sie im Namen der Schweizer Kernkraftwerke, genauer gesagt als Präsident des Unterausschusses Kernenergie (UAK). Der UAK koordiniert gemeinsame Anliegen der Kernkraftwerke im Auftrag des Ausschusses der Überlandwerke (UeWA). Über ein solches gemeinsames Anliegen möchten wir heute berichten, nämlich über eine Antwort auf die Frage: Welche Auswirkungen hätte ein Ausstieg der Schweiz aus der Kernenergie?
Diese Frage wurde uns einerseits im Zusammenhang mit Lebensdauerbeschränkungen der Kernkraftwerke (evtl. im Entwurf des neuen Kernenergiegesetzes?), andererseits anlässlich der Unterschriftensammlung für die neuen Anti-Atom-Initiativen so oft gestellt, dass wir uns im Frühsommer 1999 entschlossen, dazu ein Gutachten erstellen zu lassen. Es gelang uns, dafür die Professoren Pfaffenberger und Borner beizuziehen.
Prof. Dr. Wolfgang Pfaffenberger liest an den Universitäten Bremen und Oldenburg und hat als Direktor des Bremer Energie-Instituts Ausstiegsfolgen für Deutschland untersucht.
Prof. Dr. Silvio Borner ist Ordinarius für Nationalökonomie und Leiter der Abteilung Angewandte Wirtschaftsforschung am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel.
Was haben wir vorgegeben? Zu untersuchen waren drei Szenarien, nämlich
- "Strom ohne Atom": Abstellen der KKW zwei Jahre nach Annahme der Initiative, resp. nach 30 Jahren Betrieb,
- "Moratorium plus": Annahme, dass KKW nach 40 Betriebsjahren abgestellt werden,
- "Referenzfall": Beznau und Mühleberg 50 Jahre, Gösgen und Leibstadt 60 Jahre Betrieb.
Damit waren auch die vom Bundesrat ins Spiel gebrachten Lebensdauerbeschränkungen (40, evtl. 50 Jahre?) abgedeckt.
Über die Ergebnisse werden nun die beiden Herren Professoren berichten, anschliessend wird Herr Dr. Peter Wiederkehr als Präsident des (eingangs erwähnten) Ausschusses der Überlandwerke kurz kommentieren. Dr. Wiederkehr ist Direktionspräsident der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK).
Zusammenfassende Thesen
Prof. Dr. Wolfgang Pfaffenberger, Direktor des Bremer Energie-Instituts, Universität Bremen
- Die Schweiz verfügt über eine sehr umweltfreundliche Stromerzeugung auf der Grundlage von Wasserkraft und Kernenergie. Dadurch gehen von der Stromerzeugung keinerlei Belastungen durch Luftschadstoffe oder Treibhausgase (CO2) aus. Im internationalen Vergleich liegt deshalb die Schweiz bei der Emission von Treibhausgasen besonders niedrig und dies wird bei hohem materiellen Wohlstand erreicht.
- Der hohe technische Standard der Kernkraftanlagen in der Schweiz lässt auch nach Ansicht der Aufsichtbehörde eine lange Restlebensdauer erwarten. Dies führt zu besonders günstigen Stromerzeugungskosten nach dem Ende resp. der Erstreckung ihrer Abschreibungszeit. Kernkraftwerke sind teuer zu bauen, aber preisgünstig zu betreiben. Die Betriebskosten sind gegenüber anderen Stromerzeugungsanlagen sehr konkurrenzfähig. Im Rahmen des liberalisierten Strommarktes, dem sich auch die Schweiz stellen muss, bilden sie einen wichtigen Baustein der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Stromversorgung.
- Ein Ausstieg aus der Kernenergie stellt eine grossangelegte Kapitalvernichtung dar, die zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führt. Diese werden an den günstigsten alternativen Erzeugungskosten für Strom gemessen. Heute sind dies hocheffiziente GuD-Kraftwerke auf der Basis von Erdgas. Wird der Ausstieg entsprechend der Initiative Strom ohne Atom vollzogen, betragen die Ausstiegskosten etwa SFr. 13,6 Mrd., bei Ausstieg entsprechend der Initiative Moratorium plus wären es SFr. 8,8 Mrd.
- Kernenergie stellt eine Versicherung gegen Preisrisiken auf dem Weltenergiemarkt dar. Aufgrund der starken Ausweitung der Stromerzeugung auf Erdgasbasis in vielen europäischen Ländern aus Klimaschutzgründen ist die Erzeugung von Strom aus Erdgas mit einem hohen Preisrisiko verbunden. Dieses Preisrisiko liegt in der gleichen Grössenordnung wie die Kosten durch vorzeitiges Abschalten der Kernkraftwerke selbst. Dadurch könnten im ungünstigen Fall zusätzliche Kosten bei Strom ohne Atom von SFr. 15,1 Mrd. und bei Moratorium plus von SFr. 12,5 Mrd. entstehen.
- Bei einem vorzeitigen Ausstieg steigt die Belastung der Luft mit Schadstoffen aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Aus den Ersatzkraftwerken werden Stickoxide und das Treibhausgas Kohlendioxid emittiert. Für das Jahr 2010 ergibt sich beispielweise folgendes: Das Reduktionsziel des Bundesrates für energiebedingte CO2-Emissionen beträgt 10%. Die Annahme von Strom ohne Atom würde dagegen eine effektive Zunahme von ca. 6 Mio. t oder 13% ergeben. Ebenso würde der Ausstoss von NOx um ca. 9000 t oder 8% ansteigen. Die Luftreinhaltepolitik strebt eine Reduktion von 45% an. Steigt die Emission in der Stromerzeugung, so müssen an anderer Stelle der Volkswirtschaft zusätzliche Emissionsvermeidungsmassnahmen getroffen werden. Im Bereich des Treibhausgases Kohlendioxid könnten die Mehrkosten dafür noch einmal in der Grössenordnung des direkten Ausstiegskosten liegen.
- Die Stromversorgung in der Schweiz basiert auf einem Zusammenspiel von Wasserkraft und Kernenergie. Da der Strom aus Wasserkraftwerken von Jahr zu Jahr ungleichmässig anfällt, bilden verabredete Importkontingente eine wichtige Sicherheitsreserve der Stromversorgung in der Schweiz. Importe sind daher auch in Zukunft ein wichtiges Moment zur Absicherung der ungleichmässig anfallenden Wasserkraft. Der Export von Überschüssen aus Wasserkraftstrom insbesondere im Sommerhalbjahr in andere europäische Länder trägt zur Reduktion der Umweltbelastung bei und ist daher ökologisch sinnvoll. Gleichzeitig ist der Exporterlös ein ökonomischer Positivfaktor für die Schweiz.
- Importe sind aber kein möglicher Ersatz für den Strom aus Schweizer Kernkraftanlagen. Es wäre nicht sinnvoll, sichere und umweltfreundliche KKW in der Schweiz zu schliessen und dafür Strom aus z.T. weniger sicheren Kernkraftwerken anderer Länder oder Strom aus umweltbelastenden fossilen Kraftwerken (Kohle u.ä.) zu importieren. Bei Importen aus weiter entfernt liegenden Ländern wäre zudem neben den Transportkosten auch die Verletzlichkeit der langen Leitungen ein Thema.
- Angesichts des gegenwärtigen Stromüberschusses in Europa ist es natürlich, dass Strom zum Teil zu Grenzkosten erhältlich ist. Dadurch werden aber bestehende Kernkraftwerke nicht etwa wirtschaftlich obsolet. Sie können im Gegenteil dank ihrer niedrigen Betriebskosten eine gewisse Durststrecke bedeutend besser überstehen als fossil befeuerte Kraftwerke mit ihren hohen laufenden Kosten.
- Kernkraftwerke stehen nicht im Gegensatz zum verstärkten Einsatz der erneuerbaren Energien. Der Strombedarf in der Schweiz wird nach Expertenmeinung in der Zukunft auch weiterhin moderat ansteigen. Steigender Bedarf erfordert auf längere Sicht zusätzliche Erzeugungsanlagen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die verschiedene erneuerbare Energiequellen bieten, sind eine wichtige Zukunftsoption für alle industrialisierten Länder. Sie müssen in der Zukunft weiter entwickelt werden, ganz unabhängig von dem künftigen Umgang mit der Kernenergie.
- Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke bietet grosse volkswirtschaftliche Kostenvorteile. Werden diese genutzt, so steht entsprechend mehr Geld und Zeit zur Entwicklung der erneuerbaren Energie für die Zukunft zur Verfügung. Ein vorzeitiger Ausstieg fördert also nicht die erneuerbare Energie, sondern behindert sie.
Wirtschaftliche Konsequenzen für die Schweiz
Prof. Dr. Silvio Borner, Leiter der Abteilung Angewandte Wirtschaftsforschung des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrums der Universität Basel
1. Kapitalvernichtung
Die Abschaltung der KKW entspricht einer Kapitalvernichtung in einer Bandbreite von ca. SFr. 9 bis 29 Mrd.
Die politische Schocktherapie des Ausstiegs kommt einem Kapitalverlust durch ein Erdbeben oder eine Reparationsleistung an das Ausland gleich. Dieser Verlust ist real und unvermeidbar, weil die Zerstörung oder der Transfer von Produktivkapital dessen Wertschöpfung in der Zukunft verhindert. Im Falle eines demontierten und ins Ausland transferierten Schienennetzes z.B. entstehen unvermeidbare Kosten, weil die Güter jetzt auf teureren Umwegen transportiert werden müssen. Genau dies beziffert die BEI-Studie für den Fall einer innenpolitisch beschlossenen Abschaltung der KKW. Dieser Zahlenbereich ergibt sich aus der Kombination von zwei Ausstiegsszenarien mit zwei Gaspreisvarianten. Wie das so vernichtete Kapital finanziert und abgechrieben wurde, ist bei dieser realen Betrachtung völlig irrelevant. Ob dieser Schaden pro Kopf der Bevölkerung hoch oder tief ist, hängt vom ökonomischen oder ökologischen Nutzen des Kernkraftausstiegs ab. Leider sind beim KKW-Ausstieg sowohl ökonomische wie ökologische volkswirtschaftliche Zusatzkosten in Rechnung zu stellen.
2. Volkswirtschaftliche Kosten
Die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten sind ein Vielfaches der direkten Kapitalvernichtung
Diese Kapitalvernichtung ist die absolute Untergrenze der direkten Kosten. Man nennt das auch ein sog. "Rock-Bottom"-Szenarium. Die BEI-Studie berechnet nämlich die kostengünstigste Ersatzlösung primär auf der Basis von neuen GuD-Anlagen. Der daraus resultierende Konflikt mit der völkerrechtlichen Verpflichtung der CO2-Reduktion um 10% erhöht den Preis sowohl des Atomausstiegs wie der Klimapolitik. Die direkten Kosten der CO2-Vermeidung werden in der Studie auf weitere gut 7 bis 11 Milliarden Franken veranschlagt. Das Total aus Kapitalvernichtung, Gaspreisrisiko und direkten CO2-Kosten ergibt für die Initiative "Stom ohne Atom" die in der Studie ausgewiesenen rund 40 Milliarden. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind aber nochmals höher. Die nunmehr teurere Elektrizität führt zu relativen Preisverschiebungen mit entsprechenden Strukturanpassungkosten. Die übrige Wirtschaft muss überdies massiv fossile Brennstoffe zusätzlich einsparen, weil der Energiesektor wesentlich mehr CO2 produziert. Diese Verbrauchsdrosselung ist nur durch drastische Preissteigerungen beim Endverbraucher erreichbar. Beides führt zu zusätzlichen volkswirtschaftlichen Verlusten.
3. Liberalisierter Elektrizitätsmarkt
Die schweizerischen KKW sind auch in einem liberalisierten Elektrizitätsmarkt ökonomisch überlebensfähig
Wasserkraft- und Kernkraftwerke verursachen hohe Fixkosten, aber wegen der relativ niedrigen Brennstoffpreise tiefe Grenzkosten. Sie bleiben deshalb auch im Falle stark sinkender Elektrizitätspreise am Netz und liefern positive Deckungsbeiträge. Die Marktdynamik wird zu Liquiditätsproblemen und Konsolidierungen führen, aber sicher nicht zu einer realen Kapitalvernichtung wie im Falle der Abschaltung. Decken die Preise der Elektrizität auch langfristig die Vollkosten nicht, so wird eines Tages ganz von selbst auf die Erneuerung/Ersetzung der KKW verzichtet.
Bei der zu erwartenden Preissteigerung der fossilen Brennstoffe einerseits und der Verlängerung der sicherheitstechnischen Lebensdauer andererseits könnten jedoch die angeblichen "Investitionsruinen" schlagartig zu fetten Weiden für "Cash Cows" werden. Ob der Entscheid der späten 60er-Jahre zum Bau dieser Werke richtig war, ist heute völlig irrelevant und am Ende des Lebenszyklus nur noch für die Eigentümer von Interesse.
4. Restlaufzeiten
Die Festsetzung von Gesamt- oder Restlaufzeiten für den Betrieb von KKW ist keine politische Aufgabe
Der schweizerische Staat ist zuständig für die Bewilligung von Bau und Betrieb der KKW. Er erlässt und kontrolliert die sehr strengen Anforderungen an die Sicherheit der Anlagen. Die Betreiber finanzieren die dafür notwendigen Vorkehrungen. Und zwar so lange sich das wirtschaftlich rechnet. Die Sicherheit darf jedoch mit zunehmendem Lebensalter keinesfalls abnehmen. Würde dies festgestellt, so müsste die zuständige Behörde aufgrund der geltenden Atomgesetzgebung sofort eingreifen. Die politische Vorgabe einer festen Restlaufzeit für den Betrieb wäre daher für die Sicherheit kontraproduktiv und für die Wirtschaftlichkeit unsinnig. Auch bei einem Auto bestimmt der Staat ja nicht, wie lange man ein Modell aus den 70er-Jahren noch fahren darf, sondern er verlangt die permanente Einhaltung aller technischen Auflagen und überlässt es dem Halter zu entscheiden, ob er die dafür notwendigen Investitionen noch aufwenden will oder nicht. Will oder kann er dies nicht mehr, so taugt das Modell nur noch für das Museum.
5. Erneuerbare Energien
Eine Abschaltung der KKW hilft der Umwelt nicht - im Gegenteil
Bezüglich der Klimaveränderung (CO2) ist die Kernkraft den erneuerbaren Energien gleichzustellen. Ihr Ersatz durch GuD wäre ein ökologischer Rückschritt. Ihr Ersatz durch importierten Atom- oder Kohlestrom wäre noch unethisch dazu. Ihr Ersatz durch Einsparung ist eine Utopie - es sei denn, man nimmt eine substanzielle Verteuerung der Energie in Kauf, was im internationalen Alleingang auch wieder utopisch ist.
Und schliesslich bleibt die Ersetzung der Bandenergie aus Kernkraftwerken durch Alternativenergien wie Sonne oder Wind auch bei noch so hohen Preisen für die Nutzenergie letztlich unmöglich. Entscheidend ist nämlich nicht die installierte Leistung, sondern die jederzeitige Verfügbarkeit gerade auch bei Bedarfsspitzen im Winter. Atom- und Alternativenergien sind somit gar keine direkten Konkurrenten, sondern liefern beide ein nützliches, aber ganz verschiedenes Produkt. Die Hoffnung auf eine beschleunigte Ausbreitung der erneuerbaren Alternativenergien als Folge des KKW-Ausstiegs ist deshalb verfehlt. Die schonungslose Aufdeckung der technischen Grenzen und die hohen ökonomischen Kosten würden leider das Gegenteil bewirken.
6. Umwelt
Energie ist nicht per se ein Umweltproblem
Sämtliche Umweltschädigungen des Energiesektors haben mit sogenannten negativen externen Effekten zu tun. Bei fossilen Brennstoffen stehen die schädlichen Abgase im Vordergrund, bei der Kernenergie nicht versicherte Risiken oder allfällige nicht vorfinanzierte Entsorgungs- und Stilllegungskosten. Transport und Verwendung von Elektrizität verursachen im Gegensatz zur Produktion fast keine externen Kosten mehr. Eine ökologisch und ökonomisch zielführende Energiepolitik muss auf die emissionsnahe Internalisierung dieser externen Kosten ausgerichtet werden. Ist diese Internalisierung z.B. durch entsprechende Emissionsabgaben vollzogen und sind danach die Preise "richtig", ist eine weitere Förderung der Energieeinsparung ebenso wie einzelner Energieformen ein ökologischer Overkill, der mit Wohlfahrtsverlusten für die Bevölkerung verbunden ist.
Die Meinung der Betreiber in fünf Thesen
Dr. Peter Wiederkehr, Präsident des Überlandwerke-Ausschusses, Direktionspräsident der Nordostschweizerischen Kraftwerke
1. Die Betreiber der schweizerischen Kernkraftwerke sind auf keine Energie fixiert, auch nicht auf die Kernenergie
Bezeichnenderweise betreiben sie neben Kernkraftwerken zahlreiche Wasserkraftwerke, fossilthermische Kraftwerke, Solar- und Windanlagen. Kernenergie ist für sie eine Energie neben anderen Energien. Die Elektrizitätsgesellschaften, die Kernkraftwerke betreiben, haben eine klare Zielsetzung: die Versorgung der Bevölkerung mit hinreichend Energie zu günstigen Preisen. In diesem Versorgungsauftrag haben alle mit der Wasserkraft begonnen. Als in den Sechzigerjahren die Wasserkraft nicht mehr ausreichte, mussten sich die Stromgesellschaften nach neuen Energien umsehen. Zur Auswahl standen fossilthermische Kraftwerke oder Kernkraftwerke. Nicht zuletzt unter dem Druck des Bundes wählten sie die Kernenergie. Heute deckt die Kernenergie im schweizerischen Schnitt 40 Prozent des Strombedarfs. Im Wirtschaftsraum Zürich sind es im Winter gar 70 Prozent.
Die Betreiber der Kernkraftwerke sind Wirtschaftsunternehmen. Sie betreiben demzufolge eine Energieform, solange sie wirtschaftlich ist. Sie wechseln zu anderen Energieformen, sofern diese wirtschaftlicher erscheinen. So verkaufen sie Wasserkraftwerke oder geben Projekte auf, wenn sie unrentabel sind. Sie würden Solaranlagen in grossem Ausmass betreiben, wären sie wirtschaftlich. Sie würden von der Kernenergie abgehen, sobald diese nicht mehr konkurrenzfähig wäre. Wirtschaftsunternehmen produzieren nach wirtschaftlichen, nicht nach ideologischen Kriterien.
2. Die Kernenergie ist eine wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Energie
Die Wirtschaftlichkeit einer Energieform ist nach Mittelwerten und nicht nach den Extremwerten zu beurteilen. Leibstadt ist nicht der Vergleichswert der Kernenergie. Ebensowenig sind die ursprünglichen Gestehungskosten des Kraftwerks Ilanz von 24 Rp./kWh der Referenzwert der Wasserkraft. Im Mittelwert sind die Gestehungskosten der schweizerischen Kernkraftwerke konkurrenzfähig. Wären sie es nicht, müsste die Kernenergie auch nicht bekämpft werden. Sie würde sich von selbst eliminieren.
Die vielfach kolportierte Behauptung, die Wasserkraft subventioniere die Kernenergie, ist schlicht und einfach falsch. Das bereits zitierte Kraftwerk Ilanz beispielsweise musste von den NOK mit über SFr. 400 Mio. wettbewerbsfähig gemacht werden. Diese Millionen stammen nicht zuletzt aus den Erträgen des Kernkraftwerkes Beznau. Wasserkraft und Kernenergie können finanziell nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gilt eine einfache Erfahrungstatsache: alte Wasserkraftwerke sind billiger als neue Kernkraftwerke. Ältere Kernkraftwerke produzieren günstiger als neue Wasserkraftwerke.
3. Die Kernenergie ist eine komplizierte, aber dennoch sichere Energie
Wir beherrschen sie. Wir leisten den Tatbeweis. Es sind in Betrieb: Beznau und Mühleberg rund 30 Jahre, Gösgen 20 und Leibstadt 15 Jahre. Alle Werke laufen unfallfrei. Ihre Verfügbarkeit steht weltweit an der Spitze. Wir beherrschen die Technik der Kernenergie, weil
- bauliche und technische Sicherheiten in grosser Zahl eingebaut sind,
- wir über hochqualifiziertes Personal verfügen,
- wir die Kernkraftwerke dauernd mit erheblichem Aufwand erneuern.
Es ist kein Zufall, dass die Bevölkerung in der Nachbarschaft der Werke Vertrauen in die Kernenergie hat. Abstimmungsresultate belegen dies deutlich. Nach den Abklärungen der zuständigen Bundesbehörden können die schweizerischen Kernkraftwerke 50 bis 60 Jahre sicher betrieben werden.
4. Der Ausstieg aus der Kernenergie im jetzigen Zeitpunkt wäre ein rein politischer Entscheid
Mit der Wirtschaftlichkeit oder der Sicherheit kann ein vorzeitiger Ausstieg - ein Ausstieg vor 50 bis 60 Jahren Betriebsdauer - nicht begründet werden, denn diese sind gewährleistet. Trotz Wirtschaftlichkeit und Sicherheit kann die Politik die Kernenergie verbieten, wenn eine Mehrheit den vorzeitigen Ausstieg verlangt. Allerdings muss man sich über die Konsequenzen eines solchen Ausstiegs im Klaren sein. Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet die Stilllegung der vier schweizerischen Kernkraftwerke. Diese Stilllegung hat zur Folge:
- Es werden Milliardenwerte vernichtet.
- Die ausfallende Stromproduktion muss ersetzt werden. Mit der Förderung der erneuerbaren Energien und mit Sparen lassen sich nicht 40 bis 70 Prozent des Stromverbrauches kompensieren. Es darf zudem nicht übersehen werden, dass neue Wasserkraftwerke kaum mehr erstellt werden, da die wirtschaftlichen Standorte ausgenützt sind.
Es bestehen zwei Möglichkeiten, um die ausfallende Stromproduktion zu ersetzen:
- Wir beziehen den fehlenden Strom aus dem Ausland. Er stammt aus Kernkraftwerken oder fossilthermischen Werken.
- Wir bauen fossilthermische Anlagen in der Schweiz.
Beide Möglichkeit sind nicht sinnvoll. Es ergibt keinen Sinn, funktionierende Kraftwerke mit Milliardenverlusten stillzulegen, um hierauf Strom aus französischen Kernkraftwerken, wenn möglich zu höheren Preisen, zu beziehen. Es kann nicht die Verbesserung der Luftqualität gefordert und gleichzeitig Kernenergie durch CO2-lastige fossilthermische Kraftwerke ersetzt werden. Im schweizerischen Rechtsmittelstaat könnten sie zudem gar nicht rechtzeitig erstellt werden.
5. Die vernünftige Lösung: Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke
Solange ihre Sicherheit und ihre Wirtschaftlichkeit gewährleistet ist. Konkret heisst das: Die Werke laufen 50 bis 60 Jahre. Der vorzeitige Ausstieg findet nicht statt. Diese Lösung hat folgende Vorteile:
- Es werden keine Milliarden verschleudert.
- Die Versorgung bleibt vorderhand gesichert ohne zusätzlichen Bezug ausländischer Kernenergie oder CO2-lastiger fossiler Energie.
- Erst in 20 bis 30 Jahren muss entschieden werden, ob anstelle der inzwischen abgeschriebenen Kernkraftwerke neue erstellt werden, oder ob auf andere Energieformen umgestiegen werden soll.
- In dieser Zeitspanne zeigt sich, ob und wieviel Energie tatsächlich eingespart wird und wie weit sich alternative Energien durchgesetzt haben.
Quelle
Hans Fuchs; Wolfgang Pfaffenberger; Silvio Borner; Peter Wiederkehr