Wano – weshalb es sie gibt und wohin sie steuert
Die nach dem Tschernobyl-Unfall gegründete World Association of Nuclear Operators (Wano) hat sich zum Ziel gesetzt, die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kernkraftwerke weltweit zu maximieren. Um dies zu erreichen, schauen sich die Kernkraftwerksbetreiber gegenseitig über die Schulter und tauschen Erfahrungen aus. Thomas Bichsel vom Kernkraftwerk Gösgen war zwischen Oktober 2009 und Dezember 2011 im Wano Paris Centre tätig und berichtet aus dem Umfeld der Betreiber-Organisation.

Wie trägt die Wano zur Maximierung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kernkraftwerksanlagen bei?
Jeder Kraftwerksbetreiber macht beim Betrieb seiner Anlage Erfahrungen. Die Wano sammelt dieses Know-how und gibt es ihren Mitgliedern weiter. Die Wano untersucht vergleichbare Zwischenfälle und gibt Empfehlungen zur Vermeidung weiterer ähnlicher Ereignisse heraus. Auch gute Betriebserfahrungen werden untereinander ausgetauscht. Die Wano hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kernanlagen nicht nur sicherer, sondern auch effizienter zu machen. Sie erhöht damit also auch die Wirtschaftlichkeit.
Wer ist Mitglied bei der Wano?
Momentan sind wir in der glücklichen Situation, dass alle Kernkraftwerksbetreiber der Welt direkt oder über Vertretungen Mitglied bei der Wano sind. Auch der Betreiber der Anlage im iranischen Bushehr ist Wano-Mitglied.
Wie ist die Schweiz in der Wano vertreten?
Der Branchenverband swissnuclear vertritt heute die Schweiz bei der Wano. Das könnte sich aber ändern. Bei der Gründung der Wano waren die Werke über Länderbüros vertreten. Später konnten auch Firmen der Wano beitreten. 2011 wurden die Richtlinien so geändert, dass auch einzelne Kraftwerke Mitglied sein können.
Wie ist die Wano organisiert?
Die Wano ist ein Verein und hat ihren Hauptsitz in London. Sie unterhält vier Regionalzentren in Atlanta (USA), Moskau (Russland), Paris (Frankreich) und Tokyo (Japan). Das Paris Centre war 2011 mit rund 40 Mitarbeitern die grösste Niederlassung. Das Büro in Atlanta ist hingegen relativ klein. In den USA ist ja aber parallel zur Wano das gemeinsame Unternehmen der amerikanischen Kernkraftwerksbetreiber Inpo (Institute of Nuclear Power Operations) tätig, das über 300 Mitarbeitende beschäftigt. Doch zurück zur Wano: Die Zuständigkeit eines Wano-Zentrums ist nicht auf seine Standortregion begrenzt. Herstellerbedingt können die Büros auch global tätig sein. Südamerika und China sind beispielsweise dem Paris Centre angeschlossen.
Wie kommt die Wano an die Erfahrungsberichte der Kraftwerksbetreiber?
Zum einen sind die Mitglieder angehalten, Inputs zu liefern. Zum anderen holt sich die Wano auch die Informationen und nimmt Kraftwerksanlagen in regelmässigen Abständen für drei Wochen unter die Lupe. Wir sprechen hierbei von Peer Reviews.
Wie häufig finden diese statt?
Eine Anlage soll alle vier Jahre einer Peer Review unterzogen werden. Das ist seit 2011 in den Statuten so festgehalten. Zuvor waren es Zyklen von sechs Jahren. Der neue Rhythmus bedingt unter anderem eine personelle Aufstockung der Regionalzentren, weshalb für die Umstellung eine Übergangsfrist gegeben wurde. In ein paar Jahren sollte die erhöhte Peer-Review-Rate überall gelten. Zu bemerken ist, dass die Wano Ende 2009 jede kommerziell genutzte Kernkraftwerkseinheit mindestens einer Peer Review unterzogen hatte. Auch bei der im Juli 2012 kommerziell in Betrieb gesetzten iranischen Einheit Bushehr-1 wurde bereits eine Peer Review durchgeführt.
Wer führt Peer Reviews durch?
Ein Peer-Review-Team setzt sich üblicherweise aus Fachleuten der Wano und externen Mitarbeitern eines anderen Kernkraftwerks zusammen. Da letztere unter Umständen keine Erfahrung mit der Durchführung von Peer Reviews haben, wäre es ideal, wenn jeder externen Person ein Wano-Mitarbeiter zur Seite stehen könnte. Das Paris Centre ist deshalb daran, personell aufzustocken. Als ich in Paris war, waren wir etwas über 40 Leute. Vor ein paar Monaten waren es schon 90. Bis 2015 sollen im Paris Centre 150 Mitarbeitende beschäftigt sein. Peer Reviews können so mit einer konstanteren Qualität durchgeführt werden.
Besteht nicht die Gefahr, dass sich Berufskollegen untereinander mit Kritik zurückhalten?
Bei einer Peer Review versucht die Wano, Kernkraftwerksangestellte in die Rolle der Beobachter zu bringen. Peer Reviews sind nicht da, um sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, sondern um Verbesserungspotenziale in unser aller Interesse aufzuzeigen. Das ist auch der Grund, warum die Resultate einer Peer Review öffentlich nicht zugänglich sind. Die Wano möchte so eine offene Kommunikationskultur unter den Betreibern fördern.
Warum konnte die Wano trotz all dieser Massnahmen den Reaktorunfall von Fukushima-Daiichi nicht verhindern?
Die Wano richtet ihren Fokus auf den Faktor Mensch. Die Behebung von Mängeln in der Auslegung einer Anlage ist Sache der Behörden. Denn dem Betreiber einer Druckwassereinheit fehlt beispielsweise das Know-how, die Sicherheit einer Magnox-Einheit beurteilen zu können.
Wie reagiert die Wano auf den Reaktorunfall von Fukushima-Daiichi?
Der 4-Jahres-Rhythmus der Peer Reviews ist eine Reaktion auf den Reaktorunfall von Fukushima-Daiichi. Auch eine Ausweitung der Wano-Aufgaben steht zur Diskussion. Fukushima hat erneut deutlich gezeigt, wie sehr Betreiber vom gegenseitigen Wohlergehen abhängig sind. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass jeder Betreiber auch eine individuelle Verpflichtung hat, die nukleare Sicherheit zu garantieren.
Das Interview führte Max Brugger.
Thomas Bichsel
Thomas Bichsel hat an der Fachhochschule Nordwestschweiz Elektrotechnik studiert. 2003 nahm er beim Kernkraftwerk Gösgen (KKG) eine Anstellung als Pikett-Ingenieur-Anwärter an. Sechs Jahre später wurde Bichsel stellvertretender Schichtchef. Nach seiner Rückkehr aus Paris und einer dreimonatigen Wiedereinarbeitung hat er die Führung einer Schichtgruppe im KKG übernommen. Bichsel ist Präsident der Young Generation Schweiz – einer Gruppe innerhalb der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute, die sich für die Interessen der jungen Fachleute und Mitarbeiter in der Kerntechnikbranche einsetzt.