Weichenstellung? Bundesrat zu Elektrizitätsmarktöffnung und Kernenergie
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 7. Juni 1999 die Botschaft zum Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) zuhanden des Parlaments verabschiedet.
Der Entwurf sieht eine schrittweise Öffnung des Elektrizitätsmarktes vor. Sechs Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes soll der Elektrizitätsmarkt voll liberalisiert sein. Im Hinblick auf die Totalrevision der Atomgesetzgebung hat der Bundesrat wesentliche Vorentscheide getroffen. Gleichzeitig hat er den Verordnungsentwurf über den Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke ins Vernehmlassungsverfahren geschickt und davon Kenntnis genommen, dass die Transporte von abgebrannten Brennelementen in die ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen in nächster Zeit wieder aufgenommen werden können.
Elektrizitätsmarktgesetz: Mit dem Elektrizitätsmarktgesetz soll der Strommarkt auf der Basis des geregelten Netzzugangs, des sogenannten Regulated Third Party Access (TPA), geöffnet werden. Das heisst, dass die Betreiber von Elektrizitätsnetzen verpflichtet sind, auf nicht diskriminierende Weise vertraglich Elektrizität für berechtigte Kunden durch ihr Netz zu leiten. Dafür sollen sie eine angemessene Vergütung erhalten.
Die Liberalisierung soll gestaffelt und in der Weise erfolgen, dass der Strommarkt sechs Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes vollumfänglich geöffnet ist. In einer ersten Phase sollen die Grosskonsumenten mit einem Jahresverbrauch von mehr als 20 Gigawattstunden ihren Strom bei einem Produzenten ihrer Wahl kaufen können. Das sind in der Schweiz rund 110 Unternehmen. Zusätzlich sollen auch die Verteilwerke Zugang zum Markt haben, und zwar im Umfang der Bezugsmengen für berechtigte Kunden sowie im Umfang von 10 Prozent ihres Jahresabsatzes an feste Kunden. Damit können auch die kleinen und mittleren Konsumenten von der Strommarktöffnung profitieren. Nach drei Jahren soll der Schwellenwert für Grossverbraucher auf 10 Gigawattstunden gesenkt und gleichzeitig der Umfang des Jahresabsatzes der Verteilwerke auf 20 Prozent erhöht werden. Auf den Beginn des siebten Jahres soll der Elektrizitätsmarkt vollständig geöffnet sein.
Der Entwurf verlangt zudem, dass die Elektrizitätswirtschaft innert drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine gesamtschweizerische Netzgesellschaft errichtet. Eine solche ist erforderlich, damit der Strommarkt korrekt funktionieren kann.
Der Gesetzesentwurf enthält keine Bestimmungen bezüglich nicht amortisierbarer Investitionen (NAI). Der Bundesrat lehnt eine Abgeltung der NAI im Bereich Kernenergie ab. Die auf Einzelfälle beschränkte, restriktive Entschädigung bei Wasserkraftwerken soll in dem sich in der parlamentarischen Beratung befindlichen Förderabgabebeschluss geregelt werden.
Totalrevision der Atomgesetzgebung: Das Atomgesetz ist revisionsbedürftig; zudem ist der Bundesbeschluss zum Atomgesetz befristet. Im Hinblick auf das neue Kernenergiegesetz hat der Bundesrat folgende Vorentscheide getroffen:
- Auf die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente wird verzichtet, wobei die Kernkraftwerkbetreiber die bestehenden privatrechtlichen Verträge erfüllen können.
- Das UVEK setzt eine Gruppe unabhängiger Experten ein mit dem Auftrag, bis Ende 1999 den Vorschlag der Umweltorganisationen (kontrollierte und rückholbare Langzeitlagerung) inhaltlich zu konkretisieren und mit dem Konzept geologische Endlagerung zu vergleichen.
- Der Vorentwurf zum Kernenergiegesetz soll für die schwach- und mittelaktiven Abfälle von der Endlagerung mit langer Rückholbarkeit ausgehen, wobei je nach dem Ergebnis der Überprüfung durch die Expertengruppe das eine oder andere Konzept der nachfolgenden Botschaft zugrunde gelegt werden soll.
- Das Entsorgungskonzept für die hochaktiven Abfälle soll im Vorentwurf Kernenergiegesetz offen bleiben; der Bundesrat soll darüber zu gegebener Zeit unter Berücksichtigung der technischwissenschaftlichen Diskussion entscheiden.
Das UVEK wird beauftragt, auf der Basis dieser Entscheide den Vorentwurf zum Kernenergiegesetz zu
bereinigen und in der zweiten Hälfte dieses Jahres dem Bundesrat zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zu unterbreiten. Über die Frage einer allfälligen Befristung des Betriebs der bestehenden Kernkraftwerke wird der Bundesrat nach den Sommerferien entscheiden.
Verordnung über den Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke: Die Finanzierung der Stilllegung der Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist im geltenden Recht unterschiedlich geregelt. Seit 1984 werden die Kosten für die Stilllegung durch den Stilllegungsfonds sichergestellt. Dieser Fonds wird durch jährliche Beiträge der Kernkraftwerkbetreiber gespiesen.
Neu soll eine vergleichbare Regelung für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle eingeführt werden. Nach dem Verordnungsentwurf werden sämtliche Entsorgungskosten, die nach Betriebsende der jeweiligen Kernkraftwerke entstehen, durch den Entsorgungsfonds sichergestellt. Die Kernkraftwerkbetreiber werden verpflichtet, jährliche Beiträge an den Fonds zu leisten, so dass nach einem 40-jährigen Betrieb die erforderlichen finanziellen Mittel im Fonds vorhanden sind. Die vor Betriebsende anfallenden Entsorgungskosten sollen die Betreiber wie bis anhin direkt bezahlen. Die Vernehmlassungsfrist dauert bis 15. September 1999.
Transporte abgebrannter Brennelemente: Beim Transport abgebrannter Brennelemente in die ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen gab es in den vergangenen Jahren erhebliche Überschreitungen der Kontaminationsgrenzwerte von Transportbehältern. In deren Folge hat das Bundesamt für Energie (BFE) diese Transporte im Mai 1998 sistiert. In der Zwischenzeit hat die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) die Vorfälle zusammen mit den zuständigen Sicherheitsbehörden Deutschlands, Frankreichs und Englands untersucht und die erforderlichen Massnahmen in die Wege geleitet. Durch die Grenzwertüberschreitungen sind in der Schweiz keine gesundheitlichen Folgen für die Bahnarbeiter oder die Bevölkerung aufgetreten. Selbst bei Messwerten, die deutlich höher als die Grenzwerte liegen, kommt es im Zusammenhang mit den Transporten laut HSK zu keinen gesundheitlichen Schädigungen. In ihrer Stellungnahme zu den Kontaminationen bei Transporten abgebrannter Brennelemente kommt die HSK zum Schluss, dass Häufigkeit und Ausmass von Grenzwertüberschreitungen in Zukunft durch zusätzliche Massnahmen deutlich reduziert werden können - eine absolute Verhinderung ist jedoch nicht erreichbar. Die HSK ordnet Massnahmen in technischer, radiologischer und organisatorischer Hinsicht an, wie zum Beispiel regelmässige Hochdruckreinigungen der verwendeten Behälter, Verbesserungen an den Qualitätssicherungssystemen der Versender, Spediteure, Beförderer und Empfänger und eine Meldepflicht bei Grenzwertüberschreitungen. Der Bundesrat hat davon Kenntnis genommen, dass das BFE beabsichtigt, in der zweiten Hälfte dieses Jahres wieder Bewilligungen zum Transport abgebrannter Brennelemente zu erteilen.
Quelle
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie, Kommunikation (UVEK), Pressemitteilung, 7. Juni 1999