Wie Kernenergie und erneuerbare Energien miteinander vereinbaren?
Die angewandte «Energieökumene» Die BKW FMB Energie AG (BKW) ist in der Schweiz die grösste Förderin von Solar- und Windenergie. Gleichzeitig betreibt sie in Mühleberg eines der fünf Kernkraftwerke des Landes. Martin Pfisterer ist Mitglied der Unternehmensleitung der BKW sowie Präsident der Windstromproduzentin Juvent SA und der Betreiberin des Sonnenkraftwerks Mont-Soleil. Wie beurteilt er die anlaufende Kernenergiedebatte? Wie kann er Funktionen ausüben, die von gewissen Kreisen als unvereinbar betrachtet werden? Eine Stellungnahme.

Mühleberg ist 34 Jahre alt. Wie steht es heute um dieses Kernkraftwerk in nächster Nähe zur französischen Schweiz?
Es freut mich, dass Sie die Nähe zur französischen Schweiz ansprechen. Mühleberg ist nämlich ein Grundpfeiler auch der Westschweizer Stromversorgung. Das Kraftwerk ist in guter Verfassung. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht nun den Weg zu einer unbefristeten Betriebsbewilligung geebnet hat, wie sie bereits für die vier anderen Kernkraftwerke des Landes gilt. Das ist nicht mehr als gerecht. Mühleberg läuft auf optimalem Sicherheitsniveau problemlos rund um die Uhr.
Das Kraftwerk ist in die Jahre gekommen. Ist es immer noch gleich sicher?
Ja, denn wir haben das Sicherheitsniveau mit Unterhaltsmassnahmen und mit der Erneuerung von Komponenten laufend à jour gehalten. Sobald neue Sicherheitsausrüstungen verfügbar sind, statten wir das Kraftwerk damit aus.
Der Bundesrat hat sich für neue Kernkraftwerke ausgesprochen. Ist die BKW zur Annahme dieser Herausforderung bereit?
Ja. Die grossen Unternehmen der Branche sind sich darin einig, dass bis 2020-2030 rund 3000 Megawatt Leistung in neuen Kernkraftwerken zur Verfügung gestellt werden müssen. Die zwei oder drei dafür notwendigen Kraftwerke sollen an bisherigen Standorten gebaut werden. Das kann Mühleberg, Beznau oder Gösgen sein. Wir prüfen eingehend, ob und wie in Mühleberg ein neues grosses Kraftwerk realisiert werden kann. Dieses hätte vor allem die Aufgabe, die Versorgung der Nordwestschweiz zu sichern.
Das Schweizer Volk wird früher oder später zum Bau neuer Kernkraftwerke Stellung nehmen müssen. Unter welchen Voraussetzungen ist eine Zustimmung zu neuen Projekten zu erwarten?
Der Bundesrat verfolgt eine gute Strategie. Zunächst soll aufgezeigt werden, dass heute und in Zukunft alles unternommen wird, um das Sparpotenzial auszuschöpfen, einen rationellen Umgang mit der Energie sicherzustellen und die erneuerbaren Energien zu fördern. Um jedoch den stetig wachsenden Strombedarf zu befriedigen, sind neue Grosskraftwerke unverzichtbar. Strom ist der Lebensnerv unserer Wirtschaft. Unser hohes Niveau in den Bereichen Lebensqualität, Dienstleistungen, Industrie und Gesundheitswesen kann bei Strommangel unmöglich aufrecht erhalten werden.
Was kann die Romandie zur Versorgungssicherheit von morgen beitragen?
An Möglichkeiten fehlt es nicht. Die Wasserkraft könnte noch besser genutzt werden. Bis die neuen Kernkraftwerke verfügbar sind, kann die Romandie zudem eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Produktionskapazitäten auf der Grundlage von Erdgas spielen. Ich denke hier an die Projekte Chavalon und Cornaux. Zu gegebener Zeit werden sich auch die Romands im Rahmen eines landesweiten Volksentscheids zum Bau neuer Kernkraftwerke zu äussern haben. Die Elektrizitätsunternehmen - die Grossen wie die Kleinen - müssen in dieser Frage zusammenstehen und die Öffentlichkeit zielgerichtet informieren.
Die Zukunft der Gaskraftwerke scheint allerdings nicht sehr rosig zu sein…
Das eidgenössische Parlament hat in bezug auf die Kompensation der CO2-Emissionen tatsächlich eher ungünstige Entscheidungen getroffen. Aber war angesichts der gegenwärtigen Klimadiskussion etwas anderes zu erwarten? Eine perfekte Lösung gibt es nicht. Am schlimmsten wäre aber meiner Meinung, wenn nichts gegen die drohende Stromlücke unternommen würde. Bis zur Inbetriebnahme der neuen Kernkraftwerke benötigen wir als Übergangslösung andere leistungsfähige Produktionseinheiten.
Ihr Unternehmen ist international ausgerichtet. Sie investieren unter anderem in Gaskraftwerke in Nachbarländern. Trägt diese Auslandproduktion zur Versorgung der Schweiz bei?
Wir haben in Italien und Deutschland bereits Produktionskapazitäten erworben bzw. arbeiten an solchen Projekten. Mit diesen Anlagen sollen zunächst die Märkte unserer Kunden in den jeweiligen Ländern beliefert werden. Der Import in die Schweiz, sofern er materiell überhaupt möglich ist, kommt erst an zweiter Stelle. Man darf nicht vergessen, dass in einem funktionierenden europäischen Strommarkt jedes Land grundsätzlich Selbstversorger sein muss. Langfristig sind Importe keine Lösung. Hinzu kommt, dass unsere Nachbarländer - einschliesslich Frankreichs - ebenfalls mit einer Verknappung ihrer Produktionskapazitäten konfrontiert sind.
In den politischen Debatten werden regelmässig die Kernenergie und die erneuerbaren Energiequellen gegeneinander ausgespielt. Als Präsident von Juvent und Mont-Soleil sind Sie in der Schweiz der grösste Betreiber von Wind- und Solarkraftwerken. Wie vereinbaren Sie die Kernenergie mit den erneuerbaren Energien?
Wir müssen aufhören, die verschiedenen Energieformen gegeneinander auszuspielen. Die Schweiz hat das Glück, über einen soliden Grundstock von Wasser- und Kernkraft zu verfügen. Auf dieser Basis konnten wir unsere Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen im Bereich der neuen Technologien vorantreiben. Wir müssen auf diesen neuen Märkten weiterhin präsent sein und das erworbene Know-how aufrechterhalten. Wir begrüssen deshalb den jüngsten Beschluss des Parlaments, diese Anstrengungen zu unterstützen. Die Forschung, die Entwicklung und der Betrieb solcher Anlagen müssen weitergehen. Diese Anstrengungen dürften in nächster Zukunft Früchte tragen.
Sicher. Aber der Anteil der Sonnen- und Windenergie an der gesamten Stromproduktion erreicht heute gerade mal ein halbes Promille, während der Verbrauch jährlich um fast 2% steigt. Was ist zu tun, um den Prozentsatz dieser zwei Energiequellen substanziell zu erhöhen?
Beim heutigen Wissensstand wird dies schwierig sein. Aufgrund der klimatischen und topografischen Gegebenheiten sind die Voraussetzungen für Sonnen- und Windenergie in der Schweiz nicht optimal. Das heisst aber nicht, dass die Entwicklung und Nutzung der neuen erneuerbaren Technologien einschliesslich Biomasse und Geothermie nicht weiter ausgebaut werden sollen.
Angesichts der drohenden Stromknappheit plädiert der Bundesrat für die gegenseitige Ergänzung der Energien, statt die eine oder andere Form zu verbannen. Hat diese «ökumenische» Position eine Überlebenschance in der harten Energiedebatte?
Der Bundesrat hat einen guten Anstoss gegeben. Nun ist es Sache der Branche, die bevorstehenden Herausforderungen anzunehmen und gegenüber ihren Kunden unermüdlich zu informieren. Die neuen Kernkraftwerke können im besten Fall in den Jahren 2020-2030 in Betrieb genommen werden. Wir befinden uns aber bereits heute an der Kapazitätsgrenze. In sämtlichen Szenarien des Bundes wird auf die Gefahr von Versorgungsengpässen in den kommenden Jahren hingewiesen. Grosse Anstrengungen beim Energiesparen und bei den neuen Technologien sind unverzichtbar und der Bau von Gaskraftwerken stellt die gangbare Übergangslösung dar.
Das Gespräch führte Jean-Pierre Bommer
(Übersetzung: Jürg Holenweger)