Wiederaufarbeitung – Ressourcenschonung und Umweltbelastung

Kurzfassung des Referats von Prof. Dr. Wolfgang Kröger anlässlich der Sessionsveranstaltung des Energieforums Schweiz vom 21. März 2002 im Hotel Bellevue-Palace Bern. Prof. Köger ist Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit, Paul Scherrer Institut, Vorsteher des Labors für Sicherheitsanalytik, ETH Zürich, sowie Mitglied des Vorstandes der SVA.

20. März 2002

Bei der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung unterscheidet man hinsichtlich der Brennstoffzyklen prinzipiell zwischen

  • dem sog. Einweg-Zyklus, bei welchem für die Herstellung der Brennelemente stets frisches Uran eingesetzt wird und diese nach dem Einsatz direkt endgelagert werden,
  • und dem Zyklus mit Rezyklierung, bei welchem die Brennelemente nach dem Einsatz im Reaktor wiederaufgearbeitet, die wiederverwertbaren Materialien (z.B. Uran und Plutonium) mit frischem Uran vermischt werden und wieder zum Einsatz gelangen.

Eine solche einfache Rezyklierung wird heute vielerorts über sog. Mox-Brennstoffe praktiziert: u.a. in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, Deutschland und Japan. Es ist auch eine mehrfache Wiederaufarbeitung und Rezyklierung denkbar, sie setzt aber komplexere grössere Kernkraftwerkparks voraus.
Die Wiederaufarbeitung ist eigentlich ein chemisches Verfahren, bei welchem vorgängig die bestrahlten Brennelemente hinter massiven Abschirmungen zerstückelt und die metallischen Teile abgetrennt werden. Das verbleibende stark radioaktive keramische Material wird in Salpetersäure aufgelöst und durch Einsatz nicht mischbarer Flüssigkeiten werden Stoffgruppen extrahiert, also Uran, Plutonium und der eigentliche Abfall (Spaltprodukte und sog. höhere Actiniden wie Americium, Neptunium und Curium) voneinander getrennt. Damit können die Ersteren einer weiteren Nutzung zugeführt werden, während die Letzteren einen volumen- und mengenmässig kleineren endzulagernden Abfall darstellen.
Die Menge an bestrahlten Brennelementen, die jährlich aus den derzeit 444 Kernkraftwerken entladen werden, entspricht ca. 10'500 Tonnen an Schwermetallen (tSM), d.h. Uran und Plutonium. Davon gehen rund 3000 tSM in die Wiederaufarbeitung, während der Rest auf die direkte Endlagerung wartet. Da bis anhin weltweit kein Endlager für hochaktive Abfälle bzw. für abgebrannte Brennelemente existiert, haben sich bis Ende 2000 ca. 250'000 tSM akkumuliert.
Wiederaufarbeitungsanlagen gibt es heute in Frankreich (La Hague), England (Sellafield) sowie (kleinere) in Japan, Russland und Indien. Sie haben eine Kapazität von rund 5000 tSM pro Jahr, davon entfallen 3400 tSM auf Brennstoff aus Leichtwasserreaktoren; Frankreich und England bekleiden mit einer Kapazität von 2900 tSM eine führende Position. Darüber hinaus werden weitere Wiederaufarbeitungsanlagen in China und Japan gebaut, die ab 2005 eine zusätzliche Kapazität von 1000 tSM bereitstellen sollen.
Neben der Verbesserung heute existierender Technologie (PUREX) werden neuartige Verfahren entwickelt. Es sind pyrochemische (USA, Japan, Russland) und elektrometallurgische Prozesse (USA), die bereits prototypisch getestet oder sogar für die Behandlung spezieller radioaktiver Abfälle eingesetzt wurden. Sie sind physikalisch "gutmütiger", weisen niedrigere Emissionen auf und können in das Kraftwerk integriert werden, so dass sich die Anzahl der Transporte und die Proliferationsgefahr weiter reduzieren.

Wiederaufarbeitung ermöglicht Stofftrennung, optimierte Entsorgung und ressourcenschonende Wiederverwendung.
Die Technik ist industriell erprobt, neue Verfahren haben ein hohes Entwicklungspotenzial.


Die Wiederaufarbeitung wurde in der Vergangenheit stark kritisiert, angesichts einer massiven Umweltbelastung, die von den genannten Vorteilen nicht kompensiert wurde. Tatsächlich haben vor Mitte der 80-er-Jahre die Anlagen in Sellafield und La Hague grössere Mengen Radioaktivität freigesetzt. Neben der Tatsache, dass zu jener Zeit die behördlichen Vorgaben weniger strikt waren und entsprechende Rückhalteeinrichtungen bei den Anlagen fehlten, ist zu beachten, dass im Fall Sellafield die Radioaktivitätsabgaben aus den militärischen Anlagen mit anderen Rahmenbedingungen die Gesamtbilanz belastet haben.
Zwischenzeitlich wurden beiden Orts hocheffiziente Rückhalteeinrichtungen installiert, so dass die heutigen Emissionen sehr nahe bei Null liegen. Beide Anlagen haben zudem die Konventionen über den Schutz der Nordatlantischen Gewässer unterzeichnet (Ospar), insbesondere die Empfehlungen für Wiederaufarbeitungsanlagen (Parcom 88/4).
Der Betrieb der Anlagen ist ohnehin nur so lange erlaubt, wie die behördlichen Grenzwerte eingehalten werden, wonach die jährliche Individualdosis für Arbeiter maximal 20 Tausendstel Sievert (mSv) im 5-jährigen Mittel und für die Bevölkerung maximal 1 mSv betragen darf. Die mittlere jährliche Individualdosis aufgrund der natürlichen Strahlung beträgt in der Schweiz im Vergleich 2,4 mSv; die Strahlenbelastung durch einen 20-stün-digen Flug liegt bei 0,1 mSv.
Die kollektive radiologische Belastung durch den gesamten nuklearen Brennstoffzyklus wurde von der OECD für eine repräsentative Bevölkerung und beruflich Exponierte berechnet. Dabei hat man zwei Varianten, mit Einwegzyklus oder mit Wiederaufarbeitung (in Sellafield und/oder La Hague), miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass die Kollektivdosen so oder so sehr niedrig sind und dass Wiederaufarbeitung keine nennenswerte Mehrbelastung mit sich bringt. Transportrisiken (und auch -volumina) verändern sich nicht merklich und werden als vernachlässigbar eingestuft.

Die Strahlenexposition mit oder ohne Wiederaufarbeitung ist - gemessen an den ICRP-Richtwerten und am Niveau der natürlichen Strahlung - gering. Die Unterschiede zwischen beiden Optionen sind nicht signifikant.

Hinsichtlich Ressourcenschonung bringt Wiederaufarbeitung mit einmaliger Rezyklierung eine Reduktion des benötigten Natururans um etwa 10-20% (je höher der Abbrand, um so kleiner die Reduktion). Auf der Abfallseite ist eine merkliche Reduktion der Plutoniummenge um bis zu 40% und des Urans um etwa einen Faktor 9 zu verzeichnen - vorausgesetzt, das abgetrennte, immer noch angereicherte Uran wird wieder in den Reaktor eingesetzt. Die Menge höherer Actiniden wird leicht grösser, jene der Spaltprodukte bleibt unverändert. Bei den endzulagernden Volumina bringt Wiederaufarbeitung eine Reduktion hochaktiver Abfälle etwa um einen Faktor 5, dagegen eine Erhöhung bei den schwach- und mittelaktiven Abfällen um annähernd den gleichen Faktor. Dies spiegelt sich auch in den etwa gleichen energiespezifischen Endlagerkosten wieder.

Wiederaufarbeitung mit einmaliger Rezyklierung reduziert das benötigte Uran um 10-20% und das endzulagernde Plutonium um bis zu 40%.

Die Mischung des Plutoniums weist nach einmaliger Rezyklierung, also im abgebrannten Mox-Brennstoff, eine geringere Waffentauglichkeit aus als im direkt endzulagernden Brennstoff oder sogar im abgetrennten Plutonium.
Die radiologische Belastung der Biosphäre aus dem Endlager nimmt (rechnerisch) nach Wiederaufarbeitung mit Actinidenabtrennung langfristig noch stärker ab. In jedem Fall bestimmt das Spaltprodukt Cäsium die maximale Belastung, die weit unter dem behördlichen Richtwert (Referenzszenario Kristallin) bleibt. Durch Wiederaufarbeitung und Rezyklierung kann man die Zeit geringfügig reduzieren, die notwendig ist, um die Radiotoxizität des Abfalls auf das Niveau von Natururanerz abfallen zu lassen.
Wesentlich bedeutender ist diese Zeitreduktion, wenn fortgeschrittene Wiederaufarbeitungsmethoden (Abtrennung von Neptunium, Americium, Curium) und mehrfache Rezyklierung (in kritischen schnellen Reaktoren und unterkritischen Systemen (ADS)) zum Zuge kommen. Die Entwicklung solcher Technologien und Prozesse wird international vorangetrieben; sie eröffnen Perspektiven für die nächsten 20 bis 50 Jahre in Richtung Ressourcenstreckung und Entschärfung der Anforderungen an Endlager. Solche Systeme setzen Wiederaufarbeitung (mit neuartigen Prozessen und Techniken) zwingend voraus.
Sie ist daher auch Teil der neuen US-Energiepolitik und internationaler Forschungsprogramme (z.B. GIF, EU). Ein Verbot der Wiederaufarbeitung würde solche Fortschritte verhindern und die zugehörige Forschung blockieren.
Vor dem Hintergrund des Gesagten komme ich zu folgenden übergeordneten Schlüssen:

  • Kurzfristig sprechen für oder gegen die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente keine überwältigenden fachlich-technischen Argumente; abgetrenntes Plutonium sollte aber wieder in die Reaktoren eingesetzt werden.
  • Längerfristig kann Kernenergie zu einer nachhaltigen (umweltgerechten) Energieversorgung weltweit beitragen; neue Technologien/Systeme basieren zwingend auf Wiederaufarbeitung und sollten - samt zugehöriger Wissensgenerierung - nicht verhindert werden.

Quelle

Prof. Dr. Wolfgang Kröger

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