World Energy Outlook 2011: «Abkehr von der Kernenergie hätte weitreichende Konsequenzen»

Im Jahr 2035 wird die Welt einen Drittel mehr Energie verbrauchen als heute. Entwicklungsländer werden die Dynamik der Energiemärkte je länger je mehr bestimmen. Die Nachfrage nach sämtlichen Energieformen wird weiter steigen. Die Kernenergie wächst bis 2035 um 70%. Geschieht dies nicht, wird die Energieversorgung noch teurer und unsicherer und der Kampf gegen den Klimawandel noch schwieriger. Dies besagt der World Energy Outlook 2011 der Internationalen Energieagentur (IEA), der am 9. November 2011 in London vorgestellt wurde.

16. Nov. 2011

Der jährlich publizierte World Energy Outlook (WEO) der IEA der OECD prognostiziert die Entwicklung der Energiemärkte bis 2035. Der WEO 2011 unterstellt drei Szenarien: Eines geht von bestehenden politischen Rahmenbedingungen aus. Das «450-Scenario» zielt auf eine Erderwärmung um 2°C ab. Das zentrale «New Policies Scenario» geht davon aus, dass alle Staaten die jüngsten Verpflichtungen punkto Klimaschutz im Grossen und Ganzen einhalten. In diesem Fall nimmt der Primärenergiebedarf bis 2035 um rund einen Drittel zu. 90% dieser Zunahme geschieht in Nicht-OECD-Staaten. So baut China seine Rolle als grösster Energiekonsument aus und verbraucht 70% mehr als die USA. Dies obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch in China immer noch weniger als halb so hoch wie der in den USA sein wird. Für Indien, Brasilien und den Mittleren Osten erwartet die IEA eine noch schnellere Zunahme des Energieverbrauchs als in China. Der Anteil fossiler Energieträger am Primärenergieverbrauch wird bis 2035 von heute 81% auf 75% sinken, während die Erneuerbaren von 13% auf 18% zulegen. Damit einher geht ein Ausbau der Subventionen erneuerbarer Energieformen von USD 64 Mrd. (CHF 58 Mrd.) im Jahr 2010 auf USD 250 Mrd. (CHF 226 Mrd.) im Jahr 2035.

Kernenergie leistet auch nach Fukushima einen wichtigen Beitrag

Die Stromproduktion aus Kernenergie wird im «New Policies Scenario» gegenüber heute um 70% wachsen. Der Ausbau wird von Ländern wie China, Indien, Russland und Korea vorangetrieben. Diese Prognose musste die IEA gegenüber letztem Jahr nur geringfügig anpassen, da die meisten Länder mit Kernenergieprogrammen auch nach Fukushima daran festhalten. Trotzdem umfasst der WEO 2011 auch einen «Low Nuclear Case». In diesem Szenario wird unterstellt, dass in OECD-Ländern keine neuen Reaktoren gebaut werden, dass in den Nicht-OECD-Ländern nur die Hälfte der im «New Policies Scenario» projizierten Kapazitätserweiterungen vorgenommen wird und dass die Laufzeiten im Betrieb stehender Reaktoren verkürzt werden. Das würde zwar Chancen für erneuerbare Energien eröffnen, jedoch würde laut der IEA gleichzeitig die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen massiv steigen. So würde zusätzlich doppelt so viel Kohle benötigt, wie Australien heute exportiert. Beim Erdgas würde die Nachfragezunahme zwei Drittel der aktuellen Gasexporte Russlands betragen. Als Konsequenzen einer Abkehr von der Kernenergie hält der WEO 2011 höhere Importkosten, sinkende Versorgungssicherheit und einen erschwerten Kampf gegen den Klimawandel fest.

Erreichung des Zwei-Grad-Ziels fast unmöglich

Der Kampf gegen den Klimawandel wird auch ohne Abkehr von der Kernenergie kein Spaziergang. 2010 haben die weltweiten CO2-Emissionen einen neuen Höchststand erreicht. Im «New Policies Scenario» nehmen die CO2-Emissionen aus der Energiegewinnung bis 2035 um 20% zu, wodurch laut WEO 2011 mit einem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um 3,5°C zu rechnen ist. Im Szenario, das die bestehenden politischen Rahmenbedingungen fortschreibt, rechnet der WEO 2011 mit einer globalen Erwärmung um 6°C. Um das Ziel einer Erderwärmung um nur 2°C zu erreichen, müssten in den nächsten Jahren drastische Massnahmen ergriffen werden. Diesen Weg hat die IEA im «450-Scenario» zurückgerechnet. Sie kommt zum Schluss, dass 80% der bis 2035 für das Zwei-Grad-Ziel insgesamt zulässigen energiebedingten CO2‑Emissionen schon verbucht sind. Sie entstehen in der existierenden Infrastruktur (wie Kraftwerke, Gebäude, Fabriken). Sollten bis 2017 keine bedeutenden neuen Massnahmen zum Tragen kommen, dürfte danach nur noch CO2-freie Infrastruktur gebaut werden, wenn das Zwei-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Das wäre sehr kostspielig: «Für jeden Dollar, der bis 2020 nicht in die Stromwirtschaft investiert würde, müssten nach 2020 USD 4,3 (CHF 3,9) zusätzlich investiert werden, um die damit verbundenen höheren Emissionen auszugleichen.»

Fast 40'000 Milliarden nötig

Auch das «New Policies Scenario» sieht hohe Investitionen in den Energiesektor vor. In den nächsten 25 Jahren fallen Kosten in der Höhe von USD 38'000 Mrd. (CHF 34'000 Mrd. in 2010-Dollar) an. Knapp zwei Drittel davon brauchen Länder ausserhalb der OECD. Rund USD 20'000 Mrd. (CHF 18'000 Mrd.) müssen in den Öl- und Gassektor investiert werden. Der restliche Investitionsbedarf entfällt zu grossen Teilen auf die Stromwirtschaft, wobei über 40% davon für Übertragungs- und Verteilnetze erforderlich sind.

Die IEA fordert die Regierungen der Welt mit Nachdruck auf, ihre gemachten Zusagen einzuhalten und im Energiesektor weitere Massnahmen zu treffen. Bei der Vorstellung des WEO 2011 sagte IEA-Geschäftsführerin Maria van der Hoeven: «Wachstum, Wohlstand und Bevölkerungszunahme werden in den kommenden Jahrzehnten unweigerlich den Energiebedarf in die Höhe treiben. Aber wir dürfen uns nicht weiterhin auf unsichere und nicht nachhaltige Energienutzung verlassen. Die Regierungen müssen verschärfte Massnahmen ergreifen, um Investitionen in effiziente und kohlenstoffarme Technologien zu fördern.»

Quelle

M.Re. nach IEA, World Energy Outlook 2011, und Medienmitteilung, 9. November 2011

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