Zukunft der Kernenergie: Chancen und Schwierigkeiten

An der Jahresversammlung des Nuklearforums Schweiz, die am 28. Juni 2007 in Bern stattfand, setzten sich der Zuger Ständerat Rolf Schweiger, Präsident der Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves), und Avenir-Suisse-Direktor Thomas Held mit der Zukunft der Kernenergie in der Schweiz auseinander. Aus unterschiedlichen Perspektiven zeigten sie die Chancen, aber auch die Schwierigkeiten auf. Den grösseren Rahmen dazu gab Roland Schenkel, Generaldirektor der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Europäischen Kommission, der die Energiepolitik und Forschungsarbeiten in der EU erläuterte.

9. Aug. 2007
Thomas Held: Hinter vielen Argumenten der Kernenergiegegner steckt eine unreflektierte moralische Verurteilung des technischen Fortschritts.
Thomas Held: Hinter vielen Argumenten der Kernenergiegegner steckt eine unreflektierte moralische Verurteilung des technischen Fortschritts.
Quelle: Nukleaforum Schweiz/Monika Flückiger

Die Vorträge der Referenten sorgten für Gesprächsstoff bei den über hundert anwesenden Gästen im Berner Hotel Bellevue-Palace. Thomas Held ging in seinem Vortrag mit dem Titel «Die ‛böse' Industrie gegen die ‛guten' Grünen: Bemerkungen zur moralischen Codierung der Energiepolitik» auf die moralischen Aspekte bei der Nutzung der Kernenergie ein. Hinter vielen Argumenten der Kernenergiegegner stecke eine unreflektierte moralische Verurteilung des technischen Fortschritts, erklärte er. Der positive Leistungsausweis der Kernenergie gerade in der Schweiz werde kaum in die Meinungsbildung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse einbezogen. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werde die Kernenergie weitgehend unabhängig von ökonomischen und ethischen Fakten als etwas «Böses schlechthin» abgestempelt.

Held: «Neokolonialer Entwicklungsstopp» durch westliche Umweltstandards

Die Forderung nach weltweiter massiver Reduktion der Klimagase bei gleichzeitiger Ablehnung der Kernenergie kommt laut Held einem Entwicklungsstopp über mehrere Generationen für viele Schwellenländer wie China oder Indien gleich. Das Sparen als absolutes Prinzip verletze den allgemeinen Anspruch auf Wohlfahrt, indem die Lebensstandarddifferenzen auf dieser Welt zementiert werden sollen. Dieser «neokoloniale Entwicklungsstopp» durch Handelsbarrieren mittels westlicher Umweltstandards sei jedoch glücklicherweise völlig illusionär, so Held.

Notwendigkeit einer «moralischen Gegendarstellung»

Die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft ignoriere den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch, kritisierte Held. Als Antwort auf das Sparen als absolutes Prinzip und die illusionäre Vorstellung einer Nachhaltigkeit «im Sinne eines geschlossenen Steady-State, wo einfach alles immer rezykliert werden kann», sei eine «moralische Gegendarstellung» seitens der Industrie notwendig.

Um die unbedingte, reflexartige Ablehnung der Nukleartechnologie zu stoppen, reichen nach Helds Auffassung jedoch rein technische Informationen und sachliche Appelle nicht aus. Im Gegenteil: Ein Zuviel an solcher Information vergrössere die Unsicherheit und führe damit sogar zu verstärkter Ablehnung. Gefordert sei die Kommunikation der eigenen moralischen Stärke seitens der Nuklearindustrie, die in den Fortschritt und die Technik Vertrauen schaffe.

Schweiger: Rationale Stimmberechtigte

Den Ausführungen von Held widersprach Rolf Schweiger insofern, indem er daran erinnerte, dass die Schweizer Stimmberechtigten auch nach emotional geführten Debatten schliesslich aufgrund rationaler Informationen vernünftig entscheiden würden. In seiner frei gehaltenen Rede als spontane Antwort auf den Vortrag Helds wies Schweiger zunächst darauf hin, dass Energieeinsparungen zwar im Verkehr und bei der Wärmenutzung möglich seien, nicht aber beim Strom. Als dringend zu lösende Aufgabe der Politik sieht Schweiger die Klärung der Frage, wie die drohende Stromlücke geschlossen werden soll. Dazu müssten die Stimmberechtigten umfassend über alle Möglichkeiten samt deren Vor- und Nachteile informiert werden.

Keine Alternative zu Gas oder Kernenergie

Schweiger machte deutlich, dass ein Ausbau der Wasserkraft das Problem nicht vollumfänglich lösen kann. Auch zeigte er die Risiken von Stromimporten aus dem Ausland auf. Es sei - «bei welchen vertraglichen Konstruktionen auch immer» - unrealistisch anzunehmen, dass die potenziellen Nachbarländer auch dann Strom liefern würden, wenn beispielsweise in Paris oder Berlin Stromengpässe drohen sollten.

Für Schweiger gibt es daher keine Alternative zu Gas- oder neuen Kernkraftwerken. An diesem Punkt komme die klimapolitische Debatte zum Tragen, wobei das Problem des CO2-Ausstosses die richtige Entscheidung - für die Kernenergie - herbeiführen werde, zeigte sich Schweiger überzeugt. Aus Erfahrung wisse er, dass die Stimmberechtigten «bemüht sind, sich der Fakten anzunehmen», je näher der Termin einer Volksabstimmung heranrücke. Dieser gedankliche Prozess sei umso intensiver, je mehr die Stimmberechtigten zum Schluss kommen, dass das Ergebnis der Abstimmung ihr persönliches Leben direkt und spürbar beeinflusst.

Rolf Schweiger: Die Stimmberechtigten verlangen Argumente statt Schlagworte, Vernunft statt Emotionen.
Rolf Schweiger: Die Stimmberechtigten verlangen Argumente statt Schlagworte, Vernunft statt Emotionen.
Quelle: Nuklearforum Schweiz/Monika Flückiger

Abschliessend meinte Schweiger: «Die Aufgabe der Politik und auch der Wirtschaft besteht darin, diejenigen Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig sind, dass erstens eine solche Volksabstimmung durchgeführt werden kann und zweitens alle relevanten Argumente, von der einen wie auch von der anderen Seite, auf dem Tisch liegen. Wir müssen die Zusammenhänge aufzeigen. Wir müssen auf die Konsequenzen hinweisen, die das eine oder das andere haben könnte.»

Schenkel: Kernenergie als Teil des europäischen Energiemix

Nicht nur die Schweiz, auch Europa bereitet die Energiezukunft vor und erinnert sich an die Stärken der Kernenergie: «Kernenergie ist eine grüne Option für eine kostengünstige, sichere und treibhausgasarme Technologie zur Energieerzeugung», erklärte Roland Schenkel, Generaldirektor der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Europäischen Kommission. «Die Sicherheits- und Leistungsbilanz von Kernkraftwerken in Europa ist beeindruckend», stellte er fest und leitete daraus eine der Stärken der europäischen Industrie ab: «Europa ist zweifellos weltweit führend in der Kernkrafttechnik, einschliesslich der Handhabung des Kernbrennstoffkreislaufs.»

Euratom-Forschung: Schwerpunkt auf Fusion

Dies gelte nicht nur heute und für die Reaktoren der dritten Generation, die gegenwärtig in Finnland und Frankreich gebaut werden. Mit Blick auf die fernere Zukunft entwickle die EU in internationaler Zusammenarbeit bereits die vierte Generation von Fissionsreaktoren, erklärte Schenkel. Zwar seien im Rahmen des (siebenjährigen) 7. EU-Forschungsrahmenprogramms (RP7) 2007-2013 die Gesamtmittel für das (fünfjährige) Euratom-Forschungsprogramm 2007-2011 deutlich auf EUR 2,7 Mrd. (CHF 4,4 Mrd.) gesteigert worden. Der Löwenanteil von rund EUR 2 Mrd. sei jedoch für das Fusionsprogramm bestimmt, was natürlich mit dem bevorstehenden Bau des Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktors (Iter) in Südfrankreich zusammenhänge.

Roland Schenkel: «Die EU und die Schweiz sind sehr enge Kooperationspartner in der Nuklearforschung und auch im Bereich der vierten Generation.»
Roland Schenkel: «Die EU und die Schweiz sind sehr enge Kooperationspartner in der Nuklearforschung und auch im Bereich der vierten Generation.»
Quelle: Nuklearforum Schweiz/Monika Flückiger

Für die indirekte Förderung der Kernspaltung stehen der JRC dagegen nur knapp EUR 300 Mio. (CHF 494 Mio.) zur Verfügung. Beantragt waren vor dem Hintergrund der Klimaproblematik laut Schenkel mehr Mittel, doch scheiterte dies am Veto «gewisser Länder». Trotz dieses politischen Widerstands sei es dennoch gelungen, die Forschung an innovativen Kernspaltungssystemen in das aktuelle Euratom-Programm einzubeziehen. Dazu kommen nochmals EUR 500 Mio. für die direkten Aktionen der JRC.

Neue Technologieplattform «Nachhaltige Kernspaltung»

Als sehr wichtiges Element wurde das Instrument der Technologieplattform aus dem RP6 für das RP7 übernommen, auf der Industrie, Wissenschaft und Behörden zusammenfinden, erklärte Schenkel. Die Umsetzung selbst erfolge immer mehr über sogenannte «Joint Technology Initiatives», in deren Rahmen die konkreten Technikentwicklungen stattfinden.

Im Bereich der Kernspaltung kündigte Schenkel an, dass die EU am kommenden 21. September die «Sustainable Nuclear Fission Technology Platform» lancieren werde. Diese Plattform soll die Forschungsarbeiten im Bereich Kernspaltung zusammenfassen: sowohl die Arbeiten an den derzeitigen Leichtwasserreaktoren der zweiten und der dritten Generation, wie auch die Forschung an einem Hochtemperaturreaktor und an Schnellen Reaktoren im Rahmen des «Generation IV International Forum» (GIF). Ziel der EU-Plattform sei es, so Schenkel, eine europäische Strategie zu entwickeln und zu versuchen, «aus dem Zoo aller möglichen künftigen Systeme die gemeinsamen Ziele für die Zukunft festzulegen». Diskutiert werde gegenwärtig zudem eine Technologieplattform zur nuklearen Entsorgung.

Die Referenten im Gespräch mit dem Publikum

Die anschliessende Gesprächsrunde mit dem Publikum gab ausführlich Möglichkeiten für Fragen und weiterführende Themen. Zu Beginn stellte Schweiger nochmals klar, dass die Schweiz hinsichtlich ihrer zukünftigen Stromversorgung keine Privilegien wie exklusive Leitungsrechte zum Stromimport aus der EU mehr erhalten werde. Dies ergänzte Schenkel mit einer kritischen Betrachtung zum Strommarkt in der EU: Zwar sei es die allgemein akzeptierte Aufgabe der EU, den Wettbewerb unter ihren Mitgliedländern zu fördern. Im Strommarkt werde der Wettbewerb in manchen Mitgliedstaaten jedoch immer noch durch monopolartige Strukturen erschwert.

Der politische Bewilligungsprozess in der Schweiz verzögere den Neubau von Kernkraftwerken oder mache ihn sogar ungewiss, lautete eine Bemerkung aus dem Publikum mit der anschliessenden Frage nach Massnahmen zur Verbesserung der politischen Abläufe bei den Bewilligungsverfahren. In seiner Antwort zeigte sich Schweiger zuversichtlich, dass es nach einer positiv verlaufenden Volksabstimmung gelingen werde, von politischer Seite aus einen zeitlichen Rahmen für Bau- und Betriebsbewilligung zu garantieren. Eine Straffung der Verfahren sei dazu nötig und auch möglich.

«An einem Strang ziehen»

Der These aus dem Publikum, ob allein die Kommunikation der Fakten zur Kernenergie ausreiche, um einen sachlichen Diskurs in der Öffentlichkeit auszulösen, oder ob nicht Politik und Wirtschaft viel sichtbarer an einem Strang ziehen und sich auf gemeinsame Werte wie Umwelt und Versorgungssicherheit verständigen sollten, fand bei Schweiger wie auch bei Held vehemente Unterstützung. Schweiger nannte dazu zwei Faktoren: Zum Einen müsse, wer die Kernenergie unterstütze, ohne wenn und aber dazu stehen. Zum Anderen gehe es darum, der Bevölkerung glaubhaft zu machen, dass neue Kernkraftwerke in der Schweiz realisierbar sind und nicht an den Zerwürfnissen der Politik scheitern werden.

«Das Schweigen der Institutionen»: Hindernis für einen öffentlichen Diskurs

In diesem Zusammenhang erinnerte Held daran, dass die Schweizer Kraftwerke mehrheitlich den Kantonen gehören und demnach die politischen Zerwürfnisse systemimmanent seien. Umso wichtiger sei, dass andere gesellschaftliche Gruppen geschlossen für die Kernenergie einstehen.

Held lobte den Politiker Schweiger, dass er sich öffentlich klar für die Kernenergie ausspreche. Generell mangle es an solchen Personen auf der Seite der Kernenergie-Befürworter. «Das Schweigen der Institutionen» in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erschwere es der Stromwirtschaft, einen sachlichen Diskurs über ihre Vorhaben auszulösen. Held forderte die im Saal Anwesenden auf, vermehrt öffentlich Stellung zu beziehen. So könne eine kritische Masse erreicht werden, die über ausreichend Überzeugungspotenzial verfüge.

Quelle

M.R.

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