Fortgeschrittene Kernenergiesysteme mit weniger radiotoxischen Abfällen

Im Mai 2002 hat die Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD in Paris eine neue Studie veröffentlicht, die sich mit dem Einsatz von fortgeschrittenen Spaltreaktoren als "Aktinidenbrenner" zur Reduktion der radioaktiven Abfälle befasst. Zur Diskussion stehen kritische und unterkritische Reaktoren mit schnellem Neutronenspektrum, die im Unterschied zu den heutigen Leichtwasserreaktoren den eingesetzten Brennstoff nahezu vollständig spalten können. Das bedeutet, dass der hochaktive Abfall praktisch nur aus Spaltprodukten besteht, deren Radiotoxizität nach einigen hundert Jahren auf ein Niveau abklingt, das weit unterhalb der natürlichen Radiotoxizität des ursprünglich eingesetzten Urans liegt. In diesem Beitrag werden die untersuchten Systeme vorgestellt und die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammengefasst.

30. Sep. 2002

Warum ist die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennstoffen langfristig sinnvoll?

In den meisten Ländern wird der abgebrannte Brennstoff aus Kernkraftwerken direkt, d.h. ohne Wiederaufarbeitung, endgelagert. In einigen Ländern, darunter die Schweiz, wird jedoch Plutonium aus abgebranntem Uranbrennstoff zurückgewonnen und als sogenannter Mox-Brennstoff in den vorhandenen Leichtwasserreaktoren (LWR) rezykliert. Eine zweite Rezyklierung des Plutoniums wäre zwar technisch möglich, ist jedoch im allgemeinen nicht vorgesehen. Durch die Einfachrezyklierung des Plutoniums lassen sich aus einer gegebenen Menge von Natururan rund 15% mehr Energie gewinnen und die auf die elektrische Energieproduktion bezogene Masse der stark radiotoxischen Transurane (TRU) im hochaktiven Abfall um 30% verringern. Da diese Verbesserungen bescheiden sind und auch kein ökonomischer Anreiz für die Rezyklierung besteht, ist es nicht erstaunlich, dass heute verschiedene Kreise die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennstoffen grundsätzlich nicht als sinnvoll betrachten.
Eine solche Folgerung ist jedoch bei Systemen mit vollständig geschlossenem Brennstoffzyklus, wie sie in der NEA-Studie untersucht werden, nicht zulässig. Bei diesen sogenannten "Transmutationssystemen" werden nicht nur das Plutonium, sondern auch die "minoren" Aktiniden Neptunium, Americium und Curium aus dem abgebrannten Brennstoff zurückgewonnen und so oft rezykliert, bis sie gespalten sind. Dies ist von Vorteil, da Spaltprodukte im allgemeinen weniger radiotoxisch als Aktiniden sind. Wird schliesslich auch alles Uran rezykliert, entsteht ein Kernenergiesystem, das über einhundertmal weniger Uran als ein LWR benötigt und einen praktisch aktinidenfreien Abfall erzeugt. Aus dieser Perspektive muss die Wiederaufarbeitung nicht nur als sinnvoll, sondern sogar als Schlüsseltechnologie auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Kerntechnik betrachtet werden.

Die NEA-Referenzstrategien
In den letzten Jahren wurde eine grosse Anzahl von Transmutationsstrategien vorgeschlagen, die je nach länderspezifischen Randbedingungen noch zusätzlich variieren. Für eine generische Studie sind jedoch die in Figur 1 dargestellten fünf Referenzstrategien genügend repräsentativ. Den ausgewählten Strategien liegen die folgenden Überlegungen und Annahmen zugrunde:

  • Da Leichtwasserreaktoren noch lange den Markt beherrschen werden, sind Transmutationsreaktoren so auszulegen, dass sie möglichst viele Leichtwasserreaktoren unterstützen können. Als einzige nicht LWR-basierte Strategie wird als sehr langfristige Option eine reine Fast-Reactor-(FR-)Strategie betrachtet.
  • Der Einstieg in eine neue Technik der hier betrachteten Art ist nur sinnvoll, wenn diese während mindestens 100 Jahren genutzt werden kann. In diesem Fall sind die Einführungs- und Abbauphasen, die in verschiedenen Ländern vermutlich unterschiedlich verlaufen würden, für die Eigenschaften der Strategie nicht bestimmend und können separat betrachtet werden. In Erwartung einer Stabilisierung des zukünftigen Energiebedarfs wird das Leistungsniveau während der Betriebsdauer als konstant angenommen.
  • Da die angestrebte Radiotoxizitätsreduktion um einen Faktor 100 nur mit vollständig geschlossenen Brennstoffzyklen erreicht werden kann, werden andere Transmutationsbrennstoffzyklen nicht untersucht.


Nachhaltigkeitseigenschaften
Die unter diesen Annahmen optimierten Transmutationsstrategien werden in der Studie hinsichtlich der Ressourcenschonung (Natururanbedarf), der Umweltfreundlichkeit (radioaktive Abfälle) und der Wirtschaftlichkeit (Stromgestehungskosten) mit einer reinen LWR-Strategie mit direkter Endlagerung des abgebrannten Brennstoffs verglichen. Bei den besonders interessierenden hochaktiven Abfällen wird zwischen den TRU- und Schwermetallverlusten sowie der durch die Aktiniden bestimmten Langzeitradiotoxizität des Abfalls unterschieden (die letztere ist zeitabhängig).
Figur 2 zeigt, dass alle Transmutationsstrategien TRU-Massenreduktionsfaktoren von fast 200 erreichen und in dieser Hinsicht gleichwertig sind (für die Radiotoxizität werden im wichtigen Zeitbereich von 1000 bis 100'000 Jahren dieselben Tendenzen beobachtet, die Reduktionsfaktoren sind aber etwas kleiner). Beim Uranbedarf zeigt es sich, dass die LWR-basierten Strategien nur einen unbedeutenden Vorteil bringen und ein Durchbruch den Übergang zu einer FR-Strategie erfordert. Signifikante Unterschiede bestehen bei der Wirtschaftlichkeit, wo die TRU-FR- und die Mox-MA-Strategie am günstigsten und die reine FR-Strategie am ungünstigsten abschneidet. Bei den folgenden reaktortechnischen Vergleichen wird deshalb die Wirtschaftlichkeit mitberücksichtigt werden müssen.

Reaktortechnik
Die TRU-FR-Strategie
Die Möglichkeit der Nutzung von Schnellen Reaktoren als "TRU-Brenner" ist schon lange bekannt und wurde unter anderem in den USA im Zusammenhang mit dem Integral Fast Reactor (IFR) genauer untersucht. Aus betriebs- und sicherheitstechnischen Gründen kann ein kritischer TRU-Brenner allerdings nicht mit reinem TRU-Brennstoff betrieben werden. Durch die notwendige Beimischung von Uran reduziert sich die TRU-Verbrennungskapazität und damit die Anzahl unterstützter Leichtwasserreaktoren. Es zeigt sich, dass der Beitrag des TRU-Brenners zur Elektrizitätsproduktion des Reaktorparks 37% nicht unterschreiten darf.
Die TRU-FR-Strategie ist attraktiv, da keine neuartige Reaktortechnik benötigt wird und die TRU-Brenner später als normale Schnelle Reaktoren betrieben werden können. Da Schnelle Reaktoren tendenziell teurer als Leichtwasserreaktoren sind, erhöhen sich die Stromgestehungskosten im Vergleich zur reinen LWR-Strategie allerdings um 10 bis 20%.

Die TRU-ADS-Strategie
Die TRU-ADS-Strategie unterscheidet sich von der TRU-FR-Strategie ausschliesslich dadurch, dass der Schnelle Reaktor in einem unterkritischen Zustand, d.h. als "Accelerator-Driven System" (ADS), betrieben wird. Vorteile des ADS sind die Möglichkeit eines Betriebs mit reinem (uranfreiem) TRU-Brennstoff sowie das kleine TRU-Inventar im Reaktor und in den Brennstoffzyklusanlagen. Damit lassen sich der Anteil von Transmutationsreaktoren am Reaktorpark reduzieren und gewisse Betriebs- und Sicherheitseigenschaften optimieren. Die Kostenanalyse zeigt allerdings, dass die TRU-ADS-Strategie zu deutlich höheren Stromgestehungskosten als die TRU-FR-Strategie führt, da die eingesparten Transmutationsreaktoren die durch den Beschleuniger verursachten Mehrkosten nicht kompensieren. Es ist somit fraglich, ob eine reine TRU-ADS-Strategie jemals eine praktische Bedeutung erlangen wird.

Die Mox-TRU-Strategie
Da Plutonium in der Form von Mox-Brennstoff auch in konventionellen thermischen und Schnellen Reaktoren eingesetzt werden kann, ist es naheliegend, die TRU-ADS-Strategie mit einer zwischen dem LWR und dem ADS eingefügten LWR-Mox-Stufe zu ergänzen. Damit gelangt man zur Mox-TRU-Strategie, die sich durch einen maximalen Anteil von Leichtwasserreaktoren am Reaktorpark auszeichnet. Die zusätzliche Mox-Stufe ersetzt zum Teil den ADS, und damit sinken auch die Stromgestehungskosten. Die Mox-TRU-Strategie könnte für Länder von Interesse sein, die bereits die LWR-Mox-Technologie verwenden.

Die Mox-MA-Strategie
Mit der Mox-MA-Strategie wird die als vorteilhaft erkannte Plutoniumnutzung in konventionellen Mox-Reaktoren noch konsequenter durchgesetzt. Um den Plutoniumkreislauf vollständig zu schliessen, wird allerdings als zusätzliche Reaktorkomponente ein Plutoniumbrenner benötigt. Es ist jedoch bekannt, dass sich die in Frankreich und Japan entwickelten FR-Mox-Reaktoren grundsätzlich für diesen Zweck eignen. Bei der Mox-MA-Strategie beträgt der ADS-Anteil an der Elektrizitätsproduktion nur 5%. Die Kostenanalyse zeigt, dass damit die Mox-MA-Strategie ebenso wirtschaftlich wie die TRU-FR-Strategie wird.
Die Mox-MA-Strategie wurde schon in den 1990er-Jahren in Japan vorgeschlagen und ist unter dem Namen "Double Strata Strategy" bekannt geworden. Ihr evolutionärer Charakter könnte sich für die Marktchancen schliesslich als entscheidend erweisen: in einer ersten Phase (ohne ADS) könnte die Strategie nämlich für ein optimales Managegement von überschüssigem Plutonium genutzt werden; der Zusatzaufwand für den späteren Ausbau zur Transmutationsstrategie wäre dann verhältnismässig bescheiden.

Die FR-Strategie
Obschon die TRU-FR- und die FR-Strategie auf demselben Schnellen Reaktortyp beruhen, unterscheiden sich diese grundsätzlich voneinander: Anders als die erstere nutzt die letztere das Natururan direkt, d.h. ohne den Umweg über Leichtwasserreaktoren. Dazu muss der Schnelle Reaktor mit einer sogenannten Brutzone und einem dazugehörigen zusätzlichen Brennstoffzyklus ausgerüstet werden. Die vergleichsweise hohen Stromgestehungskosten der FR-Strategie sind durch diese zusätzliche Ausrüstung und die ausschliessliche Verwendung der tendenziell teureren Schnellen Reaktoren bedingt. Eine reine FR-Strategie wird sich deshalb erst bei einer Verknappung der Uranreserven durchsetzen können. Da sie neben den Umweltfreundlichkeitskriterien auch das Kriterium der Ressourcenschonung nahezu ideal erfüllt, bleibt die FR-Strategie allerdings weiterhin das Fernziel der nuklearen Entwicklung.

Anforderungen an die Wiederaufarbeitung
Transmutationsstrategien mit vollständig geschlossenem Brennstoffzyklus stellen hohe Anforderungen an die Wiederaufarbeitung: Die beschriebenen hohen TRU- und Radiotoxizitätsreduktionen lassen sich nur erreichen, wenn 99,9% aller Aktiniden aus dem abgebrannten Brennstoff zurückgewonnen werden können, und die starke Radioaktivität und damit verbundene Nachwärme der Transmutationsbrennstoffe bedingt neuartige Trennungsprozesse. Chemische Prozesse, welche den Anforderungen genügen, wurden zwar im Labor erfolgreich getestet, müssen aber für eine industrielle Anwendung noch weiterentwickelt werden.
Die starke Radioaktivität der Transmutationsbrennstoffe ist eine direkte Folge ihres hohen Gehalts an minoren Aktiniden. Figur 3 zeigt, dass die Brennstoffe der LWR-basierten Strategien im Vergleich mit dem in den heutigen Leichtwasserreaktoren verwendeten Uranbrennstoff eine 10- bis 130mal grössere Nachwärme entwickeln. Das bedeutet, dass diese Brennstoffe nicht mehr mit den üblichen nasschemischen Methoden wiederaufgearbeitet werden können, da sich das Lösungsmittel unter der Bestrahlung zu rasch zersetzt. Als Alternative bieten sich pyrochemische Methoden an, wie sie zum Teil bereits vor einiger Zeit für den erwähnten IFR entwickelt wurden.
In Figur 3 wird auch der Wiederaufarbeitungsbedarf in Kilogramm Schwermetall pro Terawattstunde erzeugte Elektrizität gezeigt. Interessanterweise nimmt dieser mit zunehmender Nachwärme ab. Das bedeutet, dass die bei den verschiedenen Strategien zu bewältigenden Schwierigkeiten zwar unterschiedlich, aber insgesamt etwa gleich gross sind.
Indem beim pyrochemischen Verfahren, anders als bei nasschemischen Verfahren, die Aktiniden immer zusammenbleiben und nur Spaltprodukte abgetrennt werden, ist das pyrochemische Verfahren für die Wiederaufarbeitung von Transmutationsbrennstoffen auch das "natürliche" Verfahren, das zudem die Proliferationssicherheit erhöht, da eine Abtrennung von reinem Plutonium entfällt. Im Weiteren ist das pyrochemische Verfahren auch für relativ kleine Brennstoffdurchsätze geeignet. Dies ermöglicht die Zusammenlegung der Wiederaufarbeitungsanlage mit dem Reaktor, womit längere Transporte der hochaktiven Brennstoffe entfallen.

Reduziert sich auch das Endlagerrisiko?
Wesentlich für die Bewilligungsfähigkeit eines Endlagers ist das Risiko für die Bevölkerung, d.h. die von einem Individuum jährlich empfangene Strahlendosis, die für alle Zeiten den behördlich festgelegten Grenzwert (in der Schweiz 0,1 Millisievert pro Jahr) nicht überschreiten darf. Darüber hinaus muss der Betreiber aber auch ein beschränktes Risiko im Falle einer unfallbedingten Beeinträchtigung der künstlichen und natürlichen Barrieren des Endlagers nachweisen.
Das Betriebsrisiko eines Endlagers wird während einiger hunderttausend Jahre durch langlebige Spaltprodukte, die wesentlich beweglicher als die Aktiniden sind, dominiert (Ausnahme: Endlager im Yucca Mountain, USA). Es ist leicht einzusehen, dass die Transmutation der minoren Aktiniden zunächst "nur" das Unfallrisiko des Endlagers mindert und man sich deshalb auch mit der Transmutation oder noch besseren Immobilisierung von kritischen Spaltprodukten befassen muss. Auf dem Gebiet der Spaltprodukttransmutation liegen heute allerdings erst wenige gesicherte Erkenntnisse vor.
Nützlich wären in diesem Zusammenhang u.a. Risikoanalysen für transmutationsspezifische Lagerinventare. Als ein erster Schritt in dieser Richtung wird in der Studie anhand der Mox-MA-Strategie gezeigt, wie die Transmutation der minoren Aktiniden die maximalen Freisetzungsraten von kritischen Aktiniden aus dem Lager ins Wirtgestein reduziert. Die Auswirkung auf die Individualdosis wird nicht untersucht, da sie stark von der Beschaffenheit des Wirtgesteins und damit vom genauen Standort des Lagers abhängt. Der Vergleich auf dem Niveau der Freisetzungsraten lässt jedoch darauf schliessen, dass der Nutzen der Transmutation für das Endlagerrisiko deutlich geringer als für die Radiotoxizität ist.

Forschung und Entwicklung
Infolge der durch die Mehrfachrezyklierung des Brennstoffs bedingten langen Einführungsphase können die beschriebenen Transmutationsstrategien erst langfristig zum Tragen kommen. Sie bieten deshalb keine direkte Alternative für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus den bestehenden Kernkraftwerken. Wenn die Technologie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zur Verfügung stehen soll, muss andererseits ihre Entwicklung bereits heute in Angriff genommen werden. Aufgrund dieser Erkenntnis haben vor einigen Jahren verschiedene Länder bedeutende Forschungs- und Entwicklungsprogramme gestartet, die heute weitgehend in internationale Zusammenarbeiten eingebettet sind.
Da die Technologie der Schnellen Reaktoren im Prinzip bekannt und zum Teil auch erprobt ist, konzentriert sich die Forschung und Entwicklung vor allem auf die Brennstofftechnologie. Die in ihren Eigenschaften von den herkömmlichen Brennstoffen stark abweichenden Transmutationsbrennstoffe müssen hergestellt, im Reaktor getestet und schliesslich wiederaufgearbeitet werden. Dazu werden unter anderem Testreaktoren mit einem schnellen Neutronenspektrum und Versuchslabors, welche Brennstoffe mit einem hohen Anteil an minoren Aktiniden handhaben können, benötigt.
Falls eine ADS-Strategie ins Auge gefasst wird, ist auch die Technologie von leistungsstarken Protonenbeschleunigern, flüssigmetallgekühlten Spallationstargets und unterkritischen Reaktoren weiterzuentwickeln. Beim Spallationstarget geht es dabei hauptsächlich um neuartige materialtechnologische und beim unterkritischen Reaktor um reaktorphysikalische und sicherheitstechnische Fragen. Um die Funktionsfähigkeit des gekoppelten Systems definitiv zu erhärten, wird schliesslich mittelfristig auch eine ADS-Demonstrationsanlage errichtet werden müssen.

Fazit
Die wichtigsten Aussagen der neuen NEA-Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Fortgeschrittene Kernenergiesysteme mit vollständig geschlossenem Brennstoffzyklus ermöglichen eine hundertfache Reduktion der Langzeitradiotoxizität der Abfälle im Vergleich zu einer LWR-Strategie mit direkter Endlagerung des abgebrannten Brennstoffs. Dazu werden jedoch neuartige (pyrochemische) Wiederaufarbeitungsmethoden mit sehr geringen Brennstoffverlusten (etwa ein Promill) benötigt. Für das Betriebsrisiko des Endlagers, d.h. die im Normalbetrieb resultierende Individualdosis, ist der Nutzen der Transmutation deutlich geringer.
  2. Während die verschiedenen Transmutationsstrategien ähnliche Radiotoxizitätsreduktionspotenziale aufweisen, sind die Anforderungen an den Brennstoffzyklus sehr unterschiedlich. Diese Unterschiede sind zwar für die Forschung und Entwicklung wichtig, erlauben jedoch noch keine eindeutige Bewertung der Strategien.
  3. Berücksichtigt man auch reaktortechnische und ökonomische Aspekte, sind unter den Randbedingungen der Studie die TRU-FR-und die Mox-MA-Strategie besonders interessant: Die TRU-FR-Strategie beruht auf der bereits früher vorgeschlagenen IFR-Technik, erfordert jedoch grosse Investitionen in diese Technik. Die Mox-MA-Strategie nutzt weitgehend die bekannte LWR- und FR-Technik mit nasschemischer Wiederaufarbeitung, womit die ADS-Technik und die in diesem Fall besonders anspruchsvolle Transmutationsbrennstofftechnik auf einen sehr kleinen Teil des Reaktorparks beschränkt werden können.
  4. Damit ist auch klar, dass der Nutzen des ADS vor allem im Zusammenhang mit der Mox-MA-Strategie zu sehen ist.

Die Wirtschaftlichkeit wird heute oft zum alleinigen Massstab für die Marktchancen einer Technik erhoben. Im Fall der Transmutation müssen aber die Zusatzkosten (gemäss NEA-Studie bescheidene 10-20%) mit den Kosten anderer umweltfreundlicher Energietechniken verglichen und der bis zur Marktreife zu erwartende technische Fortschritt berücksichtigt werden. Wie die persönliche Mobilität gehört der Energiekonsum in den Industriestaaten zu den menschlichen Grundbedürfnissen. In der Automobiltechnik hat dies die Einführung des früher in Europa als unwirtschaftlich abgelehnten Katalysators ermöglicht; warum könnte der Transmutation, die als eine Art Katalysator für die Kernenergie betrachtet werden kann, nicht eine ähnliche Entwicklung bevorstehen? Ein vorzeitiger, bewusster Verzicht auf diese Technik wäre jedenfalls nicht sehr weitsichtig.

Erklärungen zu Abkürzungen
FR: Fast Reactor. Kernspaltreaktor, der mit "schnellen" Neutronen, wie sie bei der Kernspaltung entstehen, arbeitet. Schnelle Reaktoren können aufgrund ihrer speziellen physikalischen Eigenschaften sowohl neues Kernspaltmaterial "erbrüten" als auch überflüssiges Kernspaltmaterial "verbrennen".
ADS: Accelerator-Driven System. Der ADS ist ein Hybridsystem, welches aus einem starken Protonenbeschleuniger, einem Spallationstarget zur Erzeugung von "externen" Neutronen und einem unterkritischen Kernspaltreaktor besteht. "Unterkritisch" bedeutet, dass keine selbständige Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann.
Mox: Aus Uran-Plutonium-Mischoxid bestehender Kernbrennstoff. Mox-Brennstoff wird heute routinemässig als alternativer Brennstoff in Leichtwasserreaktoren eingesetzt.
MA: Minore Aktiniden. Die in abgebranntem Kernbrennstoff weniger häufigen Aktiniden Nep-tunium, Americium und Curium.
TRU: Transurane, umfassend Plutonium sowie die minoren Aktiniden (vgl. MA). Sie sind viel radiotoxischer als Uran.
HLW: High-Level Waste. Hochaktiver Abfall, bestehend aus abgebrannten Brennelementen oder nach der Wiederaufarbeitung speziell konditionierten Spaltprodukten und Aktiniden.

Literatur
Accelerator-Driven Systems and Fast Reactors in Advanced Nuclear Fuel Cycles - A Comparative Study, OECD/NEA (2002). ISBN 92-64-18482-1. www.nea.fr/html/ndd/reports/2002/nea3109-ads.pdf

* Der Autor ist selbständiger Berater und war früher als Projektleiter, Leiter der Reaktorphysik und Beauftragter für nukleare Sicherheit im Paul Scherrer Institut tätig. Auf internationaler Ebene hat er die Schweiz in verschiedenen Gremien der Kernenergieagentur NEA der OECD und der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO vertreten. Den vorliegenden Beitrag verfasste er als Leiter der NEA-Expertengruppe, welche die beschriebene Studie durchführte.

Quelle

Dr. Peter Wydler*, Oberrohrdorf

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