Medien-Tsunami

Der Reaktor-Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima, ausgelöst durch einen Tsunami, hat seinerseits einen Tsunami verursacht: einen weltweiten Medien-Tsunami. Die Wellen der Berichterstattung schlugen allerdings nicht überall gleich hoch wie hierzulande.

22. Apr. 2011
Unvorstellbare Zerstörung: Das Erdbeben vom 11. März 2011 mit einer Stärke von 9,0 und der dadurch ausgelöste Tsunami haben in Japan bisher über 18'000 Todesopfer gefordert. Mehr als 10'000 gelten immer noch als vermisst.
Unvorstellbare Zerstörung: Das Erdbeben vom 11. März 2011 mit einer Stärke von 9,0 und der dadurch ausgelöste Tsunami haben in Japan bisher über 18'000 Todesopfer gefordert. Mehr als 10'000 gelten immer noch als vermisst.
Quelle: bosbouwbeleggingen.nl

Was zeitnahe Berichterstattung bedeutet, wissen wir seit 9/11. Die erste grosse Katastrophe des neuen Jahrtausends führte uns die heute übliche Live-Berichterstattung im Fernsehen und Internet ein erstes Mal vor Augen. Sämtliche News, ob nun relevant oder nicht, werden praktisch in Echtzeit weiterverbreitet, kommentiert und im gleichen Atemzug zusätzlich politisch ausgeschlachtet.

Auch das verheerende Erdbeben in Japan sowie seine Folgen wurden auf der medialen Weltbühne auf diese Art und Weise weiterverbreitet und vom Publikum entsprechend verfolgt. Allerdings: Was den Fokus und die Tonalität der Berichterstattung betrifft, gibt es besonders bezüglich des Unfalls in Fukushima-Daiichi erhebliche Unterschiede. Nicht nur zwischen den beiden Landesteilen in der Schweiz, sondern auch zwischen Ländern und den Kontinenten.

Unmittelbar nach dem Erdbeben, das im asiatischen Vorzeigeland eine unvorstellbare Zerstörung hinterliess, konzentrierte sich die Berichterstattung in den Deutschschweizer Medien auf die direkten Folgen dieser Naturkatastrophe. Das heisst: Im Fokus standen das Erdbeben selber, der dadurch ausgelöste Tsunami und die nachfolgenden Überschwemmungsschäden. Der Fukushima-Unfall war in dieser allerersten Phase der Berichterstattung nur am Rande ein Thema.

Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke thematisiert

Die Wende erfolgte über das Wochenende vom 13. März. Sämtliche Sonntagsmedien schrieben mit Bezugnahme auf Fukushima breit und sehr kritisch über die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke. Unter Generalverdacht geriet dabei Mühleberg. Aber auch die Sicherheit von Beznau und Leibstadt wurde unter die Lupe genommen und angezweifelt. In der «SonntagsZeitung» hiess es etwa: «Mühleberg ist weniger sicher als Fukushima». Begründet wurde dies im betreffenden Beitrag mit dem Zustand des Kernmantels und der mit Zugankern erfolgten Instandstellung. Zeitgleich erfolgte am Wochenende in der Schweizer Sonntagspresse auch die Lancierung der politischen Anti-Atom-Debatte. Dabei verknüpfte diese Presse das Thema Fukushima geschickt mit den auf Unwissenheit basierenden Ängsten der Schweizer Bevölkerung in Bezug auf die Kernenergie. Der japanische Reaktorunfall wurde quasi – wie es die «NZZ am Sonntag» schrieb – eingeschweizert.

Den Steilpass der Sonntagspresse nahmen in der folgenden Woche die Tagespresse und das Schweizer Fernsehen dankbar auf. Die aktuellen Ereignisse in Japan traten zunehmend in den Hintergrund und die Diskussionen drehten sich immer stärker um mögliche Sicherheitsmängel bei den bestehenden Anlagen in der Schweiz. Befeuert wurden die Bedenken in erster Linie von Exponenten aus dem linken Parteispektrum und Vertretern einschlägiger Umweltorganisationen. Selbstredend, dass auch verschiedene bürgerliche Politiker auf den Zug aufsprangen – wohl im Hinblick auf die bald anstehenden Wahlen. Beleuchtet wurden die hiesigen Erdbebenrisiken, mögliche Überflutungsszenarien, Evakuierungszonen, die Kontrollen des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) und die Frage nach den Kühlsystemen. Zunehmend in die Kritik gerieten auch die Pläne für Ersatzkraftwerke. Wohl auch aufgrund des medialen Druckes entschied sich die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard dazu, das laufende Verfahren um Rahmenbewilligungsgesuche zu sistieren.

Mit der Sistierung war die Substitutionsdebatte lanciert, die bis heute andauert. Die Argumente der Kernkraftwerksgegner sind zurzeit in fast allen Medien noch omnipräsent. Diese allerdings haben im Vergleich zur Debatte vor Fukushima kaum an Gewicht gewonnen. Vergebens sucht man nach realistischen Szenarien, wie die 40% Strom der Kernkraftwerke zu ersetzen wären. Wer einen baldigen Ausstieg fordert, muss realistisch machbare Alternativen präsentieren. Dazu gehören auch die immensen Nachteile, die ein Ausstieg mit sich brächte. Erste Medien wie die «Weltwoche» und die «Neue Zürcher Zeitung» sind bereits dazu übergegangen, die Kosten eines allfälligen Ausstiegs zu thematisieren. Vermehrt wird inzwischen auch Kritik dahingehend geübt, dass man auf grüner Seite trotz Ausstiegsplänen keine Kompromissbereitschaft in Sachen Natur- und Landschaftsschutz zeigt. Inzwischen ebenfalls Eingang in die Medien gefunden haben die politischen Grabenkämpfe zwischen den Grünen und den Sozialdemokraten. Beide Parteien möchten das Thema aus wahlkampftaktischen Gründen für sich sichern.

Das Erdbeben und der Tsunami in Japan haben ein starkes Medienecho bewirkt. Die aktuellen Ereignisse in Japan traten dabei zunehmend in den Hintergrund und die Diskussionen drehten sich immer stärker um mögliche Sicherheitsmängel bei den bestehenden Anlagen in der Schweiz.
Das Erdbeben und der Tsunami in Japan haben ein starkes Medienecho bewirkt. Die aktuellen Ereignisse in Japan traten dabei zunehmend in den Hintergrund und die Diskussionen drehten sich immer stärker um mögliche Sicherheitsmängel bei den bestehenden Anlagen in der Schweiz.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Zwischen Mühleberg und Fukushima gibt es erhebliche Unterschiede

In der französischsprachigen Schweizer Presse nahm die Debatte nach dem Unfall in Fukushima ebenfalls den vermuteten Verlauf – allerdings weniger aufgeregt, eher abgeklärt. Wie auch in den deutschsprachigen Medien wurde anfänglich über die technischen Probleme im Kernkraftwerk Fukushima geschrieben. Dabei erklärten und kommentierten Experten die Anlagen, Systeme und die aufgetretenen Probleme.

Auch in Bezug auf die Konsequenzen für die Schweiz und ihre zukünftige Atompolitik ist die Debatte in der Romandie bis jetzt weniger «schreierisch» verlaufen als in der Deutschschweiz. So wurden in «24 heures» und «La Liberté» etwa die Unterschiede zwischen Mühleberg und Fukushima herausgestrichen. Auch die Darstellung eines möglichen Erdbebens oder Dammbruchs und die daraus erwachsenen Gefahren für Mühleberg erfolgten nüchterner.

Die französischsprachigen Medien stellten die politischen Konsequenzen aus Fukushima für die schweizerische Atompolitik ausgewogener dar. Auffallend ist, dass alle Seiten zu Wort kommen und nicht nur exklusiv die Atomgegner. Auch wird ein allfälliger Ausstieg differenzierter diskutiert: Es werden auch unangenehme Fragen für die Atomgegner aufgeworfen, etwa: Was bedeutet ein Ausstieg für die selbst gesteckten schweizerischen Ziele zur Bekämpfung der globalen Klimaerwärmung? Oder: Wie würde sich unser Leben mit einem Ausstieg aus der Kernenergie punkto Lebensqualität verändern? Es braucht – so der Tenor in den französischsprachigen Medien – eine seriöse Abklärung sämtlicher Szenarien gekoppelt mit einer eingehenden Debatte über die Folgen.

Glaube an die eigenen Fähigkeiten

Wieder anders verlief die Berichterstattung in den amerikanischen Medien. Der Mainstream könnte etwa folgendermassen auf den Punkt gebracht werden: «It is too early to judge the final outcome of the nuclear crisis that continues to unfold in Japan». Etwa 20% des amerikanischen Stromverbrauchs stammen aus 104 Kernkraftwerkseinheiten. Die Risiken – so die Medien – sind wohl vorhanden, allerdings überwiegen die Vorteile. Auf der politischen Agenda der beiden grossen Blöcke sucht man denn auch das Thema Atomausstieg vergebens. Die Notwendigkeit einer funktionierenden Energieversorgung gehört zu den Themen, bei welchen Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern herrscht. Es gibt folglich auch keine breite politische Diskussion darüber.

So wird die Debatte in den US-Medien über die aktuellen Ereignisse in Fukushima und die möglichen politischen Konsequenzen vorwiegend von Experten geführt. Sie betonen in erster Linie die Vorteile der Erzeugungsform für die USA. Als zentrale Argumente für die Atomenergie werden die Versorgungssicherheit, die Umweltfreundlichkeit, die Unabhängigkeit vom Ausland und die tiefen Kosten genannt.

Weiter wird in den US-Medien immer wieder auch der Forschungsaspekt thematisiert. So heisst es beim Fernsehsender CNN etwa: «There's a whole category of reactors in development with ‹inherently safe› features that use the laws of physics to prevent meltdown». Hier kommt ein uramerikanisches Phänomen zum Tragen, nämlich der Glaube an den wissenschaftlichen Fortschritt und die eigenen Fähigkeiten.

Ein anderer «typisch» amerikanischer Ansatz, sich mit dem Thema Fukushima zu befassen, ist die Heldenverehrung. Während in der Schweiz eher die Kommunikationsdefizite von Tepco auf mediales Interesse stiessen, berichteten die amerikanischen Medien über «The Fukushima 50». In Amerika begegnet man der Kernkraftwerksbelegschaft, die versuchte die Schäden des Unfalls zu begrenzen, mit grossem Respekt.

Quelle

Mirko Gentina

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